Über die Rolle der Bäuerin – früher und heute

Mit 26 Jahren besuchte ich die Bäuerinnenschule und ich war stolz darauf, denn Bäuerin war mein Traumberuf und es war nicht selbstverständlich, dass ich als Städterin diesen Beruf ergriff. Ich fand, es gäbe keinen schöneren und reicheren Beruf als den der Bäuerin. Ich sah mich inmitten des Bauernhofes am Herd die Nahrung aus dem Garten und dem Stall in schmackhafte Menus verwandeln, die die Menschen auf dem Hof ernährten und stärkten. Ich sah mich im Garten die Erde bearbeiten, Samen säen und das Gemüse pflegen und ernten, und ich sah mich mähen, heuen, melken, misten, Kühe striegeln und Pferde bürsten, Schweine füttern, Äpfel ernten und mosten, und noch viele andere schöne Arbeiten verrichten. Ich dachte auch, in keinem Beruf könnte ich Beruf, Ehe und Muttersein idealer vereinen, als im Bäuerinnenberuf.

Der Bauernhof fand sich, die Kinder kamen und alles war so, wie ich es mir vorgestellt und gewünscht hatte, schön und natürlich hart und manchmal auch zuviel des Guten. Aber das stärkte die Liebe zu meinem Beruf noch mehr.

Der Stolz auf meinen Beruf begann zu wackeln, als ich merken musste, dass er betriebswirtschaftlich und versicherungstechnisch beurteilt nicht gerade viel zählte. Die Arbeit meines Mannes wurde mit 100%, meine jedoch nur mit 30% berechnet, denn eine Bäuerin wäre höchstens eine Hausfrau, die ab und zu ihrem Mann auf dem Betrieb half, hiess es! Das machte mich wütend auf die Männerwelt und die Landwirtschaftspolitik. Auch auf die verführerischen Landmaschinenprospekte und Ausstellungen, die meinem Mann weismachten, wie „gäbig“ es sich damit bauern liesse und wie effizient er so produzieren könnte. Was zählte da noch ein Garten, Selbstversorgung und Handarbeit?

So wurde mein Bäuerinnenstolz unter der Last der Geldknappheit und einem Schuldenberg begraben, und die Freude am Beruf erstickte im Lärm der kostspieligen Maschinen und Motoren, die das Betriebseinkommen vorantreiben sollten. In diesen Lärm mischten sich die Ratschläge der Bauernberater, wie die Bäuerin für den Betrieb nützlicher werden und betriebswirtschaftlich an Relevanz gewinnen könnte. Da grub ich mein letztes Restchen Stolz wieder aus und sagte mir, dass ich denen schon zeigen würde, was eine Bäuerin wert sei, und ich wollte auch mir selber beweisen, dass ich zu all dem fähig wäre: Ferien auf dem Bauernhof, Marktstand, Direktvermarktung aller hofeigenen Produkte und Betreuung von Menschen mit Drogenproblemen, damit verbunden der ganze administrative Aufwand. Die Kinder durften trotzdem nicht zu kurz kommen, und der Mann natürlich eben so wenig, denn der Zusammenhalt der Familie ist das Fundament des Bauernbetriebs, und für dieses hat die Bäuerin ebenfalls zu sorgen. Ich schaffte das alles und mein Berufsstolz blühte wieder auf! Nun war ich auch für die AHV und die Steuern eine vollwertige Arbeitskraft.

Es ging und geht nicht nur mir so. Ich weiss, dass es viele Bäuerinnen gibt, die es ähnlich erleben. Von der Gesellschaft werden wir Bäuerinnen dafür bewundert, dass wir das alles so locker schaffen. Ab und zu kommt eine im Radio, im Fernsehen oder in einer Zeitschrift. Wir werden zu Ikonen. Das haben Agrarmarktstrategen schon längst erkannt. Sie benutzen uns deshalb für ein gutes Image der Landwirtschaft, biologisch oder IP, da ist kein Unterschied zu erkennen. Hauptsache die Bäuerin wirkt dynamisch, aufgestellt, aufgeschlossen und äusserst strapazierfähig, und natürlich kerngesund. Sie soll die Landwirtschaft schlechthin verkörpern, eine Landwirtschaft, wie sie sich ein städtischer Mensch wünscht, keine Industrie und Monokultur, sondern handgestrickt, vielfältig, tierliebend und jedermann zugänglich.

Branchenintern geht der Trend genau umgekehrt. Die Bäuerin im traditionellen Sinn verliert immer mehr an Bedeutung. Der Bäuerinnenberuf kann heute nicht mehr als eigentlicher Beruf erlernt werden, sondern nur noch als Fachrichtung, als Weiterbildung und Ergänzung zu anderen Berufen. Der Bäuerinnenverband verschwand im Landfrauenverband. Junge Bauerntöchter wählen immer seltener die Laufbahn der Bäuerin. Sie werden Landwirtin oder Agronomin und eignen sich ein technisches und rationelles Denken an. Dem Bauernstand kommt die Weiblichkeit und Mütterlichkeit immer mehr abhanden. Nein, nicht ganz! Junge reizende Bauerntöchter zieren zum Sexualobjekt stilisiert lieblose und öde Bauernbüros. Ist das die heutige Identifikation der Bäuerin mit ihrer Rolle? Oder eher eine Wunschvorstellung orientierungsloser Jungbauern? Welche stolze Bäuerin liesse sich halbnackt an die Wand hängen?

Wo bleiben denn Selbstverständnis und Selbstwertgefühl von uns Bäuerinnen? Unterschätzen wir unsere Wichtigkeit? Lassen wir uns vom so genannten Fortschritt mitreissen und unserer Aufgabe entreissen? Mir scheint, die Landwirtschaft stecke überhaupt in einer Identitätskrise. 
Kein Wunder! 
Ich liebe meinen Beruf, ich liebe die Erde, die Natur, die Schöpfung. Wir Bäuerinnen erhalten unsere Schaffenskraft durch das rhythmische Arbeiten im Einklang mit der Natur. Alle Wesen, die uns umgeben, sind unsere Helfer, sichtbare und unsichtbare. Wir sind Verbündete der Mutter Natur, und ihre Dienerin. All das macht uns stark und überzeugend. Unser Beruf ist ein ursprünglicher und ganz wichtiger Beruf, denn wir ernähren die Welt! In allen Kulturen der Welt war die Frau die Hüterin des Feuers und des häuslichen Herdes. Sie sorgte für die Wärme und das Essen. Im übertragenen Sinn ist es heute immer noch so. Oder etwa nicht?

Claudia Capaul, Biobäuerin seit 30 Jahren, Kanton Bern, 2014

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