Familienbetrieb – Chance und Herausforderung

Fachleute sind sich einig: Das gemeinsame Arbeiten in einem Familienbetrieb ist eine grosse Chance – wenn die zwischenmenschlichen Beziehungen funktionieren und man auftretende Konflikte so lösen kann, dass alle Beteiligten weitgehend zufrieden sind.

Bevor eine junge Frau oder ein junger Mann in den Familienbetrieb kommt, sollte über die künftige Rollenverteilung diskutiert werden. Jedes Familienmitglied sollte sagen dürfen, wo seine Stärken liegen, was es gerne macht und was nicht gerade die Lieblingsarbeiten sind. Wenn man Glück hat, kann man die Rollen beziehungsweise Arbeiten so verteilen, dass alle vorwiegend das machen können, was sie gern tun und gut können. Sollte das nicht aufgehen – was ja auch möglich ist – muss nach speziellen Lösungen gesucht werden.

Die Stärken der einzelnen Akteure nützen

Ein einfaches Beispiel: Bis heute hat die Schwiegermutter, die Blumen über alles liebt, die Blumenproduktion auf dem Hof und den Blumenverkauf am Wochenmarkt betreut. Auch die künftige Schwiegertochter nennt Blumen als ihr grosses Hobby. Sie träumt davon, ihre Ideen rund um Blumen zu verwirklichen. Sicher ist: Wenn die Schwiegermutter die Blumenproduktion abgeben muss, sind Schwierigkeiten programmiert. Egal, welche Betätigungsfelder man ihr zuweisen will, sie wird nicht zufrieden sein. Es darf auch nicht sein, dass sie bezüglich Blumen unter der Schwiegertochter arbeiten muss. Das käme nicht gut, weil die beiden Frauen zu Rivalinnen würden. Wenn die junge Frau ihre Träume rund um die Blumen nicht ausleben darf, wird es genau so schwierig. Was könnte die Lösung sein?

Ideal ist, wenn Bäuerin und Landwirt sowie die ältere Generation ihre Rollen so leben dürfen, wie sie für jedes Familienmitglied am besten passt. (Bild: Agnes Schneider)

Nach zusätzlichen Ideen suchen

Fachleute reden in diesen Fällen davon, dass «der Kuchen vergrössert» werden muss. Konkret heisst das, dass Lösungen zu suchen sind, die beide Frauen befriedigen. Im konkreten Fall könnte das beispielsweise sein, dass ein zusätzlicher Betriebszweig rund um Blumen aufgebaut werden könnte. Das könnte der Anbau und allenfalls die Verarbeitung von Rosen sein oder auch das Durchführen von Floristikkursen auf dem Hof. Logisch ist, dass diesem Bereich dann die Schwiegertochter vorsteht und dass sie sagen darf, wie es laufen soll. Klar abgegrenzte Kompetenzbereiche sind das A und O eines Familienbetriebes. Wenn die Eltern im Betrieb mitarbeiten, sollte darauf geachtet werden, dass auch sie noch Verantwortung übernehmen dürfen – wenn sie wollen.

Offenheit für Neues bringt den Hof weiter

Viele künftige Schwiegertöchter und künftige Schwiegermütter haben Angst vor dem vorauseilenden Ruf der neuen Person. «Mensch, diese Schwiegertochter möchte ich nicht geschenkt haben» kann genauso Angst machen wie «deine künftige Schwiegermutter ist ein katastrophaler Drachen». Menschen, die solche Aussagen machen, qualifizieren sich grundsätzlich selbst. Und doch setzen sie Stacheln. Es gibt nur einen Weg, der erfolgversprechend ist: Ohne Vorurteil auf die neue Person zugehen und sich selber ein Urteil bilden.

Meist kommt eine junge Frau auf einen Hof – in ein mehr oder weniger funktionierendes System. Es kann und darf nicht sein, dass die junge Frau als unwissend eingestuft wird. Gut, sie kennt den Hof und die Details nicht, aber sie bringt dafür neue Ideen ein – so man sie denn machen lässt.

Es geht kaum etwas über eine zufriedene Bäuerin

Noch heute gibt es Bäuerinnen und Landwirte jeden Alters, die die Meinung vertreten, dass eine Frau ins Haus, auf das Feld und in den Stall gehört, aber sicher nicht an eine externe Arbeitsstelle. Dabei gibt es für die Familie und den Mann wohl kaum etwas Besseres als eine Frau, die glücklich ist in ihrer Rolle. Für die eine Bäuerin stimmt die Arbeit auf dem Hof, sie wünscht sich nichts anderes. Die andere aber möchte gern in ihrem erlernten Beruf weiterarbeiten. Wer das verhindert, tut der Familie, sich und auch der jungen Frau keinen Dienst. Ganz im Gegenteil. Sie wird traurig sein und gedanklich immer etwas nachrennen, was sie nicht haben kann. Das ist einer guten Beziehung nicht förderlich. Zudem gibt es auch Betriebe, die von der Landwirtschaft allein nicht (mehr) leben können. Dann bietet sich die Situation an, dass die Frau ein Teilpensum auswärts leistet. Zwingend ist, dass die Kinder in dieser Zeit optimal versorgt sind. Ob die Grossmutter dann für den Nachwuchs sorgt, ob es der Jungbauer ist oder ob sich zwei Kolleginnen austauschen, ist nicht wesentlich. Wichtig ist, dass die Lösung für alle stimmt und dass die Kinder auf ihre Bezugspersonen zählen können.

Wenn mehrere Generationen auf dem Hof leben, muss vieles abgesprochen werden. Stimmt es beispielsweise für beide Generationen, wie der Hofeingang gestaltet ist? (Bild: Agnes Schneider)

Weiterbildung öffnet die Augen

…und beugt Betriebsblindheit vor. Erfolgreiche Betriebsleiterfamilien lernen voneinander und sind offen für die Meinungen der anderen Familienmitglieder. Weiterbildung bringt am meisten, wenn anschliessend darüber diskutiert werden kann. Das ist aber nur möglich, wenn die Stimmung am Hof stimmt und sich alle Familienmitglieder wohlfühlen können.

Eine Hofübergabe ist immer ein Meilenstein. Wichtig ist, dass sie frühzeitig angesprochen wird. Der junge Landwirt oder die Tochter muss erfahren, wie sich die ältere Generation das Leben nach der Pensionierung vorstellt. Ein landwirtschaftliches Gewerbe kann in der Schweiz in vielen Fällen zum Ertragswert übernommen werden. Konkret heisst das, dass die Eltern den Hof um sehr wenig Geld verkaufen. Dass sie im Alter günstigen Wohnraum verdienen, ist deshalb logisch. Trotzdem ist ein klassisches Wohnrecht in der Regel keine optimale Lösung. Ein Agronom und Jurist formulierte das kürzlich ungefähr so: Nur wer die Menschen – und zwar alle – jederzeit verträgt und gern hat und wer sich von nichts und niemandem stören lässt, sollte an ein Wohnrecht denken. Für alle anderen – und das sind wohl die meisten Bäuerinnen und Bauern – ist ein Mietrecht eine viel bessere Lösung.

Ohne Wertschätzung geht es nicht

Wenn die Beziehung zwischen den Generationen gut ist, sind weder Wohn- noch Mietrecht ein Problem. Sollte sich die Beziehung aber zum Schlechten wenden, kann ein Mietrecht viel einfacher und fairer aufgelöst werden als ein Wohnrecht. Auch bei einem Mietrecht kann die abtretende Generation dem jungen Landwirt ein Darlehen gewähren. Dagegen spricht gar nichts.

Wenn es zwischen den Generationen klappt, ist der Familienbetrieb eine grosse Chance. Er hat sehr viel Potenzial. Es lohnt sich, den Beziehungen Sorge zu tragen und sie auch zu pflegen. Dazu gehören auch regelmässige Gespräche. Über Ziele zu sprechen ist dabei genau so wichtig wie einander zu zeigen, dass man sich schätzt.

Checkliste

Chancen des Familienbetriebes nützen

  • «Ich bin ok – du bist ok.» ist die beste Haltung untereinander
  • Offen sein und Neues ausprobieren
  • Klare Verantwortungs- und Kompetenzregelungen sind zwingend
  • Im Idealfall ist jeder irgendwo Chef
  • Daran denken, dass loslassen schwerfällt
  • Stärken und Vorlieben der einzelnen Persönlichkeiten nützen
  • Schwächen nicht in den Vordergrund rücken – jeder hat Schwächen
  • Dann und wann «Fünfe grad sein lassen»
  • Lockere Atmosphäre schaffen – so dürfen auch Fehler passieren
  • Was mehr als drei Monate zurückliegt, darf nicht mehr an die Oberfläche kommen
  • Kritik immer in der Ich-Form anbringen: Mich stört, dass du…
  • Nicht nur kritisieren! Loben bringts! Ideales Verhältnis: 5 Teile Lob, 1 Teil Kritik
  • «Chrampfbetriebe» sind selten langfristig erfolgreich – klare Freizeitregelungen
  • «Danke» und «Bitte» sind Worte, die mit Geld nicht aufgewogen werden können

Agnes Schneider Wermelinger

Agnes Schneider ist langjährige landwirtschaftliche Beraterin und Kommunikationsfachfrau und hat sich auf Mediationen für Bauernpaare spezialisiert.
www.streit-in-der-bauernfamilie.ch

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