SlowGrow – wir gehen neue Wege

In den letzten Jahren war Matthias Hollenstein ein kreativer Jungbauer ohne Hof – jetzt hat er einen Betrieb pachten können.
Welchen Sinn kann es haben, Weizen zusammen mit Golfrasen (wurzeldominante Kurzgrasmischung M2) als Untersaat auszusäen? Matthias Hollenstein hat es ausprobiert und kann über seine Erfahrungen berichten. Die Idee, inklusive methodischer Hinweise, verdankt er den Bodenexperten Friedrich Wenz und Dietmar Näser.
Zunächst dominiert der Weizen und beansprucht das meiste Licht für sich. Das Gras entwickelt sich aber langsam mit und das ist wichtig, damit es zum richtigen Zeitpunkt für seine Aufgabe bereit ist. Matthias Hollenstein vergleicht das Vorgehen mit dem Spannen eines Bogens. Die Absicht ist, dass die Sonnenenergie zum richtigen Zeitpunkt zugunsten des Bodenaufbaus maximal genutzt werden kann. Wenn das Getreide geerntet ist, bekommt das bereits entwickelte Gras sehr viel mehr Licht und es finden sofort verstärkt Photosyntheseprozesse statt, wodurch über die Wurzeln reichlich flüssiger Kohlenstoff, also eigentlich Zucker, als wertvoller Nährstoff für das Bodenleben und nachfolgende Pflanzengenerationen an den Boden abgegeben wird. Das Timing ist hierbei entscheidend, damit der maximale Effekt erzielt werden kann. Im August, also kurz nach der Getreideernte, ist die Sonneneinstrahlung viermal so stark wie im September. Die Sonnenenergie optimal zu nutzen bedeutet also, in den sonnenintensiven Augustwochen über Photosyntheseprozesse so viele Nährstoffe wie möglich in den Boden zu bringen. Das M2-Gras bekommt man allerdings mit reduzierter, das heisst pflugloser Bodenbearbeitung nie mehr so ganz weg, so Hollenstein. Es wächst auch zwei Jahre nach der Aussaat noch immer ein bisschen mit. Das scheint aber nicht zu stören.

Freiland Peperoni und Auberginen mit Tagetes

Inzwischen wächst auf dem Feld unter anderem Markstammkohl – eine essbare und etwas in Vergessenheit geratene Gründüngungspflanze. Markstammkohl ist eine überwinternde Sorte. Die Ernte der Blätter beginnt im April und alles, was an Blättern nicht geerntet wird, bleibt für die Blüte stehen und wird damit zur Nektarfläche für Bestäuber und andere Nützlinge. Auf dem Ackerstreifen wachsen neben dem Kohl noch elf andere Gründüngungspflanzen. Sie bilden zusammen einen, wie Hollenstein es nennt, multifunktionalen Nützlingstreifen:

Der Boden wird aufgebaut und bedeckt. Er ist immer grün, bringt Gemüse hervor und bietet gleichzeitig ein vielfältiges Blütenangebot für die Bestäuber und Nützlinge. Tatsächlich herrscht buntes Insektentreiben auf dem Acker. Sogar einige Schmetterlinge flattern Anfang April schon von Blüte zu Blüte. So kann offenbar Bodenaufbau und Artenschutz bei gleichzeitiger Produktion von Gemüse in Spitzenqualität gelingen. Eine neue Sorte ist für Matthias Hollenstein wie ein Neuankömmling, den er nach und nach immer besser kennenlernen will. Wie verhält er sich? Was kann er leisten und wie wirkt er mit anderen Pflanzen und auch Tieren zusammen?
„Wem die Natur ihr offenbares Geheimnis zu enthüllen anfängt, der entwickelt eine unwiderstehliche Sehnsucht nach ihrer würdigsten Auslegerin, der Kunst (Goethe).“ Matthias Hollenstein führt durch seine Art Acker- und Gemüsebau zu betreiben ein fruchtbares Gespräch mit der Natur. Es ist ein kreativer Prozess. Er setzt Impulse und beobachtet dann aufmerksam, wie die Natur antwortet. Was sie ihm sagt, nimmt er sehr ernst. Denn am Ende geht es ihm immer darum, dass der Boden nach der Ernte besser ist als vor der Aussaat. So lernt man sich gegenseitig kennen und schätzen.

Mulchkartoffeln

Der Respekt vor der Natur zeigt sich auch in seinem Umgang mit Maschinen. „Man muss sich darüber im Klaren sein, dass man eine Operation an einem lebendigen Körper durchführt, wenn man den Boden bearbeitet“, so Hollenstein. „Man muss ein Gefühl für den Boden entwickeln. Das geschieht nicht von selbst. Das muss man wollen.“
Angelerntes Wissen und feste Vorstellungen darüber, wie etwas ist oder sein sollte, stehen oftmals im Weg und verblenden das Feingefühl und die Intuition, so Hollensteins Eindruck. Manchmal steigt in ihm eine Idee auf, an die er selbst nicht so ganz glauben kann. Aber dann überwiegt die kindliche Neugier, ob es nicht vielleicht doch funktioniert. Ohne den Mut und die Bereitschaft auch mal Fehler zu machen, ist eine solche Arbeitsweise undenkbar. Matthias Hollenstein hat nichts gegen Traditionen, aber man sollte auch mal die Frechheit besitzen, alte gegen neue Traditionen auszutauschen, wenn die alten nichts mehr taugen. Oder auch alte Traditionen wiederentdecken, wenn sie gut und sinnvoll waren.

Reihenmischkultur

Die Vermarktung der Produkte scheint irgendwie gleichzeitig hochmodern und konservativ zu sein. Die meisten Kunden kaufen bei ihm, weil sie ihn kennen und ihm vertrauen. Das ist uralte Tradition in vielen Kulturen, eine Tradition aber, die bei Matthias Hollenstein einen sehr frischen und lebendigen Eindruck macht. Einige Kunden kaufen auch, weil ihnen das Konzept von SlowGrow gefällt. Labels und Verbandszugehörigkeit spielen eher eine untergeordnete Rolle.
Wer sind die Kunden? Die Hauptabnehmer sind das Restaurant Jakob, in dem der Spitzenkoch Markus Burkhard kocht, und der Biomarkt „Bachsermärt“ im Seefeld in Zürich. Sie schätzen die hohe Qualität von Hollensteins Produkten, ihnen geht es aber gleichzeitig um innovatives und faires Wirtschaften. Patrick Honauer, Ökounternehmer im Raum Zürich und Eigentümer des Jakobs und einer kleinen Biomarktkette geht es um Grundwerte: „Mit unserem Vertrag und der Mitarbeit auf dem Feld unterstützen wir eine solidarische Landwirtschaft und drücken damit unsere Wertschätzung gegenüber dem Bauern, dem Koch und unseren Gästen aus.“

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Alle paar Wochen kommen die Köche aufs Feld. Geliefert wird wöchentlich direkt von den Mischkulturflächen was gerade reif und voll im Saft ist oder vom Lager. Zwischen 5 und 15 Kisten Gemüse in jeder Woche des Jahres.
Restaurant und Bioladen zahlen einen festen Betrag, unabhängig ob die Ernte gut ausfällt oder schlecht ist.
Das gibt Sicherheit. Dafür stellt sich Hollenstein bei der Aussaat so gut es geht auf die Wünsche seiner Kunden ein und hat gleichzeitig noch viel Raum für Experimente. Im Ergebnis sorgen hundertfünfzig bis zweihundert zum Teil ungewöhnliche Sorten für ein vielfältiges Angebot, was erfahrene Spitzenköche wie Markus Burkhard schätzen, was sie aber auch vor Herausforderungen stellt: „Es ist schwieriger, mit Produkten, die unbekannt sind oder die es selten gibt, gut zu kochen. Das braucht neben viel Wissen sehr viel mehr Zeit. Der Gast darf nicht merken, dass wir experimentieren.“
Die Qualität der Produkte hat sich unter den Köchen der Region bereits herumgesprochen. Zurzeit beliefert Hollenstein mehr als ein Dutzend Gastronomen in der Umgebung mit seinen Produkten.
Wir wünschen ihm bei der Entwicklung und Umsetzung seiner vielfältigen Ideen für die Zukunft viel Erfolg.

Christopher Schümann

Dieser Text ist im Magazin 1/2018 des Bodenfruchtbarkeitsfonds der Bio-Stiftung Schweiz erschienen. Bilder von SlowGrow zur Verfügung gestellt

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SlowGrow - Im Eichhof
Mönchaltorf, Schweiz
Matthias Hollenstein, Petrissa Eckle, Samuel Bähler
20 ha
Gemüsebau, Ackerbau, Spezialkulturen
Gemüse und Getreide, je nach Saison 150 – 200 Sorten
442 m ü. M.
Direktvermarktung, Solidarische Landwirtschaft, Regenerativen Landwirtschaft
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