Steht der Schweizer Kirsch vor dem Aus?

Die Schweizer Hochstamm-Kirschenernte wird von der Kirschessigfliege (Drosophila suzukii) bedroht: Sie verursacht markante Schäden und scheint bisher unkontrollierbar. Nach einer Lösung wird verzweifelt gesucht, doch sind mögliche Ansätze noch nicht zugelassen, meist teuer oder erschweren die Arbeit. Ein Hoffnungsschimmer wartet auf ihre Flugbewilligung: Vielleicht kann die Schlupfwespe (Ganaspis brasiliensis) der Kirschessigfliege die Stirn bieten.

In den 1930er-Jahren fiel Walter Jakob auf seinem Hof in Wölflistein (Sissach) ein Kirschbaum besonders auf, denn seine Früchte bestachen durch ein wunderbares Aroma. Und tatsächlich: Jahrzehnte später bemerkte auch ein Gemeindebaumwärter den Baum mit den speziellen Früchten und übergab einen Zweig zur Vermehrung der Sorte an das Steinobstzentrum Breitenhof in Wintersingen, einem Versuchsbetrieb der Eidgenössischen Forschungsanstalt Wädenswil (FAW, heute Agroscope). Ohne diesen Weg in die Sortenprüfung hätte diese Lokalsorte wohl nicht überlebt. Heute ist sie unter dem Namen Wölflisteiner bekannt und gehört zu den Standard-Sorten für die Produktion von Spirituosen und Konfitüren.

Einige der alten Hochstamm-Kirschensorten galten als nicht sturmsicher, da sich die Früchte leicht vom Stiel lösten und schon vor der Ernte vom Baum fielen. Aus diesem Grund wurden sie als minderwertig betrachtet und nicht mehr angepflanzt. Doch genau diese Eigenschaft ist für die Verwertungskirsche heute wieder gefragt.

Im Vergleich zur aufwendigen und zeitintensiven Ernte der Tafelkirsche-Niederstamm-Bäumen benötigten Schüttlergeräte am Hochstämmer nur etwa fünf Sekunden, um einen ganzen Baum zu ernten. Schüttelbare Sorten sind seither wieder hoch im Kurs und zugleich eine grosse Chance für die Hochstammbäume.

Die KEF verbreitet sich

Für viele Schweizer Obstbetriebe, Konservenkirschenverarbeitende und Brennereien ist die Produktion von Verwertungskirschen eine wichtige Einkommensquelle. In den letzten Jahren hat sich jedoch zunehmend ein schwerwiegendes Problem bei der Kirschernte entwickelt: die Kirschessigfliege (KEF). Sie stammt aus Ostasien und hat sich in anderen Teilen Asiens sowie in Amerika, Europa und Afrika ausgebreitet (Abb. 1).

Abb. 1: Klein, aber mit grossem Schadenspotenzial: die KEF. (© Agroscope)

Im Gegensatz zu anderen Drosophila-Arten, die vorwiegend überreife, faulende Früchte nutzen, legen die Weibchen der KEF ihre Eier in unverletzte, reifende Früchte. Die Larven wachsen in Weichobstarten wie Beeren, Zwetschgen, Trauben oder eben Kirschen heran und verursachen starke Schäden (Abb. 2). Die Früchte werden unverkäuflich bzw. können nicht mehr verarbeitet werden, denn die mit dem Befall einhergehende mikrobielle Fäulnis führt unter anderem auch zu einem penetranten Essiggeruch, der das Brennen von KEF-befallenen Früchten verunmöglicht.

Abb. 2: Die Larven der KEF verursachen mikrobielle Fäulnis. (© Agroscope)

Das Ressort Spezialkulturen vom Landwirtschaftlichen Zentrum Ebenrain beschäftigt sich intensiv mit KEF-Prognose- und Bekämpfungsmöglichkeiten. Franco Weibel meint: «Richtig dramatisch war der KEF-Befall 2014 und jetzt wieder 2022. Noch 2020 und 2021 hatte man das Gefühl, dass man mit der KEF bei Anwendung aller präventiven und direkten Massnahmen einigermassen zurechtkommen kann. Doch 2022 war diesbezüglich ein Schockjahr.»

Dem stimmt auch Hansruedi Wirz (Reigoldswil), Obstbauer und Brenner und gleichzeitig Vorstand im Schweizer Obstverband (SOV), zu und meint: «2014 hatten wir wegen der KEF das erste Mal grössere Schäden. Für die Konserven- und Brennkirschenproduktion auf grosskronigen Bäumen war es schwer. Die wenigen zur Verfügung stehenden Pflanzenschutzmittel mussten je nachdem mehrmals eingesetzt werden.» Und weiter führt der Experte aus: «Die Ausgangslage der Brennkirschen-Produktion ist zur Lotterie geworden. 2018 und 2019 erzielten wir sehr gute Brennkirschenernten, jetzt zwei schlechte in Folge. Es ist unberechenbar geworden: die KEF, das Wetter (Frost, Regen, Trockenheit) und die Altersstruktur schaffen Probleme. Zudem ist der Zustand der Hochstammbäume weit weg von «gut». Wenn Pflanzenschutzmitteln die Zulassung entzogen wird, gleichzeitig die Aufnahme von neuen, modernen Mittel erschwert wird und auch die Bewilligungen für die Freisetzung von Nützlingen viel Zeit in Anspruch nimmt – dann wird es schwierig», betont Wirz.

Nach Lösungen wird verzweifelt gesucht

Und tatsächlich ist das Problem der Kirschessigfliege in der Schweiz zunehmend schwerwiegender geworden, da die Fliege aufgrund des milden Klimas gut überwintern und sich immer weiter ausbreiten kann. Von den wirksamen Pflanzenschutzmitteln (PSM) wie Acetamiprid und Spinosad ist bei Kirschen nur Letzteres ordentlich bewilligt – die restlichen Indikationen wurden bisher über temporäre Notfallzulassungen abgedeckt. Im Hochstammanbau sind die Anwendungen von PSM oft die einzige Massnahme gegen die KEF. Doch funktionieren Pflanzenschutzmittel alleine – ohne Einnetzung, Feldhygiene, Erntemanagement – nicht.

Eine Möglichkeit wäre, die Früchte möglichst früh zu ernten. Doch werden sie zu früh geerntet, sind sie nur knapp reif und das Aroma ist noch nicht vollständig entwickelt (Abb. 3). Dies schlägt sich auf das Erntegewicht und den Zuckergehalt und somit auch auf den Erlös nieder.

Abb. 3: Eine frühe Ernte wäre gut gegen die KEF, hat aber produktionstechnische Nachteile. (© SOV)

Ein weiterer denkbarer Lösungsansatz wäre, frühreife Sorten anzupflanzen. Der Erntezeitpunkt würde somit bestenfalls vor die problematische KEF-Phase fallen. Auch scheinen bei der KEF nicht sämtliche Kirschensorten gleich beliebt zu sein. Bei einer Sortentestung könnte sich zeigen, ob und wie stark die Sortenwahl die Produktion von Hochstämmer-Kirschen beeinflussen könnte. Bis zu einer Ernte von tragenden Hochstammbeständen neuer Sorten würde es jedoch Jahrzehnte dauern. Auch das Ansäuern der Maische kann bei geringem KEF-Befall zur Weiterverarbeitung helfen. Jedoch sind all diese Optionen nur Teil-Lösungen, nach einer bestmöglichen wird immer noch intensiv gesucht.

Hochstammbäume: aufwendig in der Handhabung

Die Einnetzung bei Hochstammbäumen wäre eine aufwendige und teure Aktion. Auch die Behandlung mit Insektiziden ist aufgrund der Baumform, -höhe und des -volumens nicht zielgerichtet genug. «Selbst bei erfolgreichem Einsatz der erlaubten Insektizide kann der Wiedereinflug mit neuen Tieren so gross sein, dass man mit der Bekämpfung schlicht nicht nachkommt», meint Weibel. Der Produzentenpreis ist angesichts dieser Aufwendungen dann nicht mehr kostendeckend. Regional versucht man mit überbetrieblich angeschafften Schüttelmaschinen und gemeinschaftlich organisiertem Pflanzenschutz die Kosten zu reduzieren.

Zu den Hochstamm-Schüttelanlagen sagt Weibel: «Mit den Schüttelanlagen können Bäume applikationstechnisch viel professioneller geschützt werden als klassische Streuobstbäume, und das wird auch gemacht, weil es eine relativ kapitalintensive Kultur ist. Klassische Streuobstbäume, zumal sie von der Sorte oder dem Standort her schlecht schüttelbar sind, haben leider eher düstere Zukunftschancen. Dort ist die Kostendeckung mit zunehmender KEF-Bedrohung immer weniger realisierbar. Als verständliche Folge davon sehen wir in unserem Gebiet leider sehr viele Fällungen von Steinobst-Hochstämmen.»

Derzeit lässt sich ein Rückgang der Hochstamm-Kirschbäume beobachten. Über die letzten Jahre wurden immer wieder Bäume gefällt, da die Frustration bei den Landwirtinnen und Landwirten wächst. Beat Felder bedauert: «Schade um die schönen und ökologisch wertvollen Landschaften.» Auch Hansruedi Wirz schätzt die Lage düster ein: «Nach meiner Beurteilung wird der Baumbestand bei Feldobstbäumen weiter zurückgehen. Der Import von Brennfrüchten wird dadurch zunehmen. Gleichzeitig wird es aber auch Produzierende geben, die Brennobst in professionellen Anlagen produzieren.»

Drohende Rodungen

Ungeschützte und ungepflegte Bäume als Ökobäume stehen zu lassen, ist gemäss Weibel nicht ideal. Bei grosser Anzahl können sie sich zu Brutstätten für Pilzkrankheiten wie Monilia, Schrotschuss, Bitterfäule sowie für die Kirschenfliege wandeln. Besonders unwillkommen wären solche von Krankheiten befallenen Herde, wenn sie in der Nähe von gepflegten Bäumen stehen. Die KEF überlebt und vermehrt sich im Gegensatz zur Kirschenfliege auf Dutzenden unserer Wild- und Kulturarten.

In der Obstbranche wird vermutet, dass bei Hochstammpflanzungen in Zukunft eher auf Kernobst und andere Obstarten wie Nussbäume etc. gesetzt wird. Dort stellt dieser Schädling kein Problem dar. Folgedessen ist die Entwicklung im Bereich Hochstamm-Kirschenproduktion offen. Dazu meint Felder: «Hochstamm-Kirschen werden weiter eine Nische bleiben und der Kirsch dürfte teurer und rarer werden. Bestand früher eine Nachfrage nach 10 000 Tonnen Brennkirschen, die in die Verarbeitung gingen, sind es heute noch ein Viertel davon.»

Hoffnungsschimmer Schlupfwespe?

Die Verwendung von natürlichen Feinden wäre eine mögliche Methode, um die Kirschessigfliege zu bekämpfen, wie ein Forschungsbericht in «Agrarforschung Schweiz» von Agroscope, CABI, ETH Zürich und dem Kanton Tessin im Juni 2022 aufzeigte. Eine bestimmte Schlupfwespen-Art, die Ganaspis brasiliensis, ist eine effiziente, natürliche Gegenspielerin der Kirschessigfliege (Abb. 4). Jedoch ist der Prozess für eine Bewilligung zur Freisetzung aufwendig, da die Schlupfwespe ein gebietsfremder Organismus ist. Es müssen die Auswirkungen einer Freisetzung auf heimische Arten beurteilt werden.

Abb. 4: Die Schlupfwespe Ganaspis brasiliensis könnte die KEF in Schach halten. (© K. Beltrando)

Versuche in geschlossenen und mehrfach gesicherten Feldkäfigen bestätigten die erfolgreichen Erkenntnisse aus Laborexperimenten: Die Schlupfwespe befällt kaum Nichtzielarten. Damit bestätigt sich, dass mit einer biologischen Bekämpfung der KEF mit der Schlupfwespe keine schwerwiegenden negativen Auswirkungen auf Nichtzielarten zu erwarten sind. Nun sind Freisetzungsversuche mit der Schlupfwespe nötig, um die Wirksamkeit unter Freilandbedingungen zu prüfen. Eine erste Freisetzung erfolgte 2021 in Italien. In den USA ist eine Freisetzung genehmigt und in der Schweiz wurde im Februar 2022 ein Freisetzungsgesuch eingereicht. Die grossflächige, rasche Massenfreilassung dieser Nützlinge ist wünschenswert, jedoch noch nicht bewilligt. Ob sie allein die nötige Wirkung einbringen kann, wird sich zeigen.

Der Schweizer Kirsch-Brand hat’s schwer

In der Landwirtschaft und im Brennereigewerbe tätige Menschen suchen nach innovativen Lösungen, um die einheimische Kirschenproduktion aufrechtzuerhalten. Zudem spielt auch unabhängig von der KEF-Problematik ein weiterer Faktor eine entscheidende Rolle, wie Felder zusammenfasst: «Einige traditionelle Kirschenproduzenten in der Zentralschweiz haben mit der Destillation von Kirsch aufgehört. Doch gibt es auch solche, die weiterhin erfolgreich Schweizer Kirsch produzieren. Wieder andere sind auf für die Schweiz früher ungewohnte Produkte wie Gin, Whisky oder Rum umgestiegen. Dies ist aber nicht allein dem Auftreten der KEF geschuldet, sondern auch einer zeitgleichen, starken Umlagerung am Markt sowie der Diversifizierung der Betriebe.»

Herausfordernde Aussichten

Insgesamt ist die Situation sehr herausfordernd. Im Hinblick auf die Kontrolle der KEF im Hochstammanbau zeichnet sich keine baldige, durchschlagende Lösung ab und ist in allen «kirschenstarken» Kantonen ähnlich. Umso mehr müssen Forschung, Beratung, Produktions- und Verarbeitungsbetriebe zusammenspannen und nach neuen Lösungen suchen. Obstbauer Hansruedi Wirz bringt es auf den Punkt und meint: «Wichtig ist, dass Ernten wie 2021 und 2022 die Ausnahme bleiben.»

Andrea Caretta

Der Artikel erschien am 17.03.2023 in Heft Nr. 4/2023 der Schweizer Zeitschrift für Obst- und Weinbau (SZOW): Obst+Wein

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