Sehr lange Tage
Im Hofportrait des Mattenhofs hier auf der Plattform www.terrABC.org und in der Zeitschrift “Kultur und Politik” kamen vor allem das Sichtbare, das Materielle des Hofes, die Arbeitsleistung zur Sprache. Ein grosser Teil davon sind natürliche Gegebenheiten und das Erbe früherer Generationen von Bäuerinnen. Die momentan auf einem Hof bestimmenden Bauersleute haben die meisten Gegebenheiten zu bewahren und jene zu verändern, die in ihren Augen anders gemacht werden müssen – mit unterschiedlich grossem Spielraum. Dieser hängt stark davon ab, wie «es diesen Menschen geht». Und das wiederum ist sehr von der Zeit abhängig. Ein ‹Portrait› darüber ist selten zu lesen, aber eben eigentlich nicht ganz unwesentlich … .
Fangen wir mit dem Alter an: 2 mal 52 (80 und 81 der Seniorgeneration). Die körperliche Leistungsfähigkeit hat in den vergangenen gut 20 Jahren spürbar abgenommen: Rücken, Hüft- und Kniegelenke beginnen zu schmerzen, das Schlafen in der Nacht ist darum nicht mehr so einfach (wir haben es immer noch nicht geschafft, neue, ergonomische Matratzen zu organisieren).
‹Unser Tag› beginnt um sechs, wird unterbrochen vom Zmorge, das oft weniger als eine Stunde dauert, vom eineinhalbstündigen Mittag, der neben Zeitungs- und Postlesen auch noch zum Organisieren benützt wird, und vom Znacht um 19 Uhr. Ins Bett gehen wir immer zu spät, um 22.30 bis 23 Uhr. Nach dem Znacht ist eigentlich «Familienzeit», aber es werden oft noch Büroarbeiten (auch für das Bioforum oder die Kirchenpflege) erledigt; oder es wird im Sommer auch draussen noch etwas gemacht. Der ganze Freitag und der halbe Samstag sind bei Therese und mir für den Hofladen reserviert, im Sommer kommt mindestens ein halber Donnerstag fürs Gemüseernten und -rüsten dazu. Bei Fleischverkäufen alle ca. 3 Wochen sind zwei Mattenhöfler einen knappen Nachmittag in der Metzgerei am Fleisch verpacken. Weil wir momentan einen Mitarbeiter haben, dem wir am Sonntag frei geben möchten, machen wir den «Sonntagsdienst» selbst, stellen den Wecker auf 8, versorgen die Tiere von 9-11 bzw. kochen das Mittagessen und müssen dann am Abend noch einmal ca. 2 Std. für die Tiere rechnen. Will man an einem solchen Sonntag etwas Spezielles unternehmen, muss das gut organisiert und mit weniger Schlaf erkauft werden.
Bei diesem Wochenablauf bleibt für Freizeitbeschäftigungen, wie wir sie früher einmal kannten: Singen, Cello, Kunstprojekte, politisches Engagement im Dorf, Handarbeiten, Lesen, Tüfteleien, Weben (ewiger Wunsch von Therese) keine Zeit und Energie mehr. Oft wissen wir nicht, wie wir alles in einem Tag, in einer Woche organisieren können, oft müssen wir Dinge aufschieben. Uneingeplante telefonische Anfragen, ‹Hofseelsorge-Gespräche› mit Angehörigen und Mitarbeiterinnen, Leerläufe, kleinere technische Pannen, ein unerwartet unfolgsamer neuer Hofhund können Thereses und meine ganze Planung über den Haufen werfen und viel Frust auslösen. Manchmal sagen wir zueinander, dass wir dieses Leben nicht bis zur Pensionierung so durchziehen können, und Thereses Mantra ist es, sie freue sich auf den Sonntag.
In dieser Situation der «chronischen, leichten Überlastung» reagieren wir vermutlich nachvollziehbarerweise gereizt auf die vielen Zusatzaufgaben der Lebensmittel- und Agrarbürokratie-Qualitätssicherung: Aufzeichnungspflichten in Stall und Feld, für die Biokontrolle, für die Tierschutzkontrolle (für swissgap – das waren noch Zeiten), Flächennutzungs-Deklarationen, Temperaturprotokolle, Hygiene- und Schutzkonzepte etc. Aber auch zeitaufwendige Weiterbildungsangebote und ineffiziente Fachinformation beginnen zu nerven, die Zeit der Tagungen ist für mich schon seit Jahren vorbei, und auch bei Zeitschrift Kultur und Politik, wo ich ja «aktiv» mitmache ärgere ich mich oft über die zeitaufwendige Art der Informationsbereitstellung.
Christian Gamp, 2021
4 ha Kunstwiese, Obst- und Nussbäume.
Max. 50 Mastschweine
Produkteverarbeitung: Most, Brot, Konfitüren, eingelegte Gemüse
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