Gut Rheinau

Gut Rheinau liegt in der Nähe der Stadt Schaffhausen im Kanton Zürich und an einer schwungvollen Schlaufe des Rheins. In einigen Kilometern Entfernung der Rheinfall, wo der Strom auf einer Breite von einhundertfünfzig Metern über zwanzig Meter in die Tiefe fällt, was ihn zu einem der grössten Wasserfälle Europas macht.

Das Klima ist mild und trocken, der Boden ein sandiger Lehmboden mit hohem Kies- und Steinanteil. Trotz einem durchschnittlichen Humusgehalt zwischen drei und vier Prozent ist der Boden extrem austrocknungsgefährdet, was eine konsequente Bewässerung aller Kulturen erforderlich macht. Durch weiteren Humusaufbau soll die Notwendigkeit der künstlichen Bewässerung in Zukunft mehr und mehr reduziert werden.

Gut Rheinau liegt an einer Schlaufe des Rheins

Von “konventionell” auf Bio…

Der Hof wurde bis vor etwa zwanzig Jahren konventionell bewirtschaftet. Dann verpachtete der Kanton Zürich seinen grössten und schönsten Landwirtschaftsbetrieb an eine Gruppe von Menschen aus verschiedenen Berufsfeldern, die eine gemeinsame Vision hatten: Im Einklang mit der Natur leben, gesunde Lebensmittel produzieren, sozialtherapeutisch wirksam werden und als Gesellschaft dadurch stark werden, dass man die Schwachen mitnimmt und auch dadurch, dass man sich die individuelle Entwicklung aller zum Anliegen macht.
Martin und Annigna Ott sowie Hans und Lotti Braunwalder übernahmen die Verantwortung für die Landwirtschaft und begannen mit ihrem Lebenswerk: Der Umstellung einer der grössten landwirtschaftlichen Betriebe in der Schweiz auf biodynamische Landwirtschaft.
In dem Buch «Das Gift und Wir» beschreiben die beiden Biobauern diesen Prozess der Umstellung sehr detailliert und konkret und damit aufschlussreich. Denn sie wurden vorübergehend zu «konventionellen» Bauern, da sie bei der Übernahme eine Reihe von Verträgen mit übernehmen mussten. So lernten sie das «konventionelle» System von innen her kennen und stellten fest, dass für die bäuerliche Selbstbestimmung hier nicht viel Platz ist. Wer die Beschreibungen im Buch liesst, kann den Eindruck gewinnen, dass das industrielle Denken und Organisieren der verschiedenen Kunden und Zulieferer den Hof praktisch übernommen hatte. Alle Entscheidungen waren vollständig ausgegliedert und die Bauern hatten zu funktionieren als wären sie Teil des Maschinenparks. Unangemeldet stand plötzlich der Tierarzt im Kuhstall und machte sich an den Kühen zu schaffen, ohne dies vorher abzusprechen. Im Spinatfeld sahen die Bauern plötzlich einen Mann im weissen Anzug herumgehen, der einen Kanister hinterliess mit genauen Befehlen, «wie, wo und in welcher Verdünnung dieses Mittel in den Spinatacker zu bringen sei.»
Ihnen wurde durch diese Erfahrungen klar, weshalb sich so viele Bauern, einmal über längere Zeit in diesem System gefangen, eine Welt ohne Pestizide und andere Produkte der Agrarchemie nicht mehr vorstellen können. Also begannen sie mit der Rückeroberung der «bäuerlichen Gestaltungshoheit» und holten sich alle «professionellen» Entscheidungen Schritt für Schritt zurück.
Von Anfang an war das Ziel, den Hof in eine vielfältige Agrarlandschaft zu verwandeln, um möglichst vielen verschiedenen Lebewesen einen Lebensraum zu ermöglichen:

Was wir ganz am Anfang konsequent und mit viel Energie durchsetzten, war ein System von Hecken, Bäumen, Magerwiesen anzubauen, mit dem Ziel, dieses Netz so über die Erde zu verteilen, dass ein Vogel oder ein Insekt auf dem ganzen Hof innerhalb von dreissig oder vierzig Metern einen Rückzugsort findet, und sich von Hecke zu Baum, von Magerwiese zu Blühstreifen bewegen kann. Martin Ott

… und was daran schwierig war

Es traten bei der Umstellung eine ganze Reihe von Schwierigkeiten und Herausforderungen auf, bei der Gesundheit der Kühe zum Beispiel, aber auch bei der Belebung des Bodens. Der hatte vollständig die Fähigkeit verloren, organische Substanz umzuwandeln.
Als Hans Braunwalder den oben erwähnten Spinatacker umpflügte, sah er den ganzen Tag über keinen einzigen Wurm. Aus 25 Zentimetern Tiefe kamen völlig intakte Zuckerrüben zum Vorschein, die zwei Jahre vorher angebaut wurden.
Die Agrarchemie und ihre bäuerlichen Helfer hatten offenbar in der Vergangenheit wenig Rücksicht auf das Bodenleben genommen, dieses vielmehr nahezu vollständig zerstört. An die Stelle natürlicher Bodenfunktionen war eine maximale Abhängigkeit von künstlichem
Stickstoffdünger und synthetischen Pestiziden entstanden. Eine ideale Situation sozusagen – zumindest aus Sicht der Agrarchemie.
Das Bodenleben zurückzubringen wurde zu einer herausfordernden Aufgabe. Zunächst wurde eine fünfhundert Meter lange Kompostmiete angelegt. Aber der Kompost konnte sich anfangs schwer mit dem Boden an diesem eher trockenen Standort verbinden. Und so gingen die Biobauern dazu über, den Kompost mit Gründüngungen flach in den Boden einzuarbeiten. Zunächst gingen die Erträge zurück, im Getreide, bei den Kartoffeln und im Futterbau. Aber nach einigen Jahren wuchs auf der grossen Naturwiese wieder Rotklee, nicht nur die fetten Gräser. Und so nahm die Heumenge wieder zu. Insgesamt stiegen die Erträge im Verhältnis zur Gesundung des Bodens nach und nach.

Freude an der Vielfalt

Durch das komplexe Netzwerk aus Bäumen, Sträuchern und Hecken sind viele Vögel und Insekten nach Gut Rheinau zurückgekehrt. Sie finden dort Rückzugsräume.

Der Hof hat heute über die Vielfalt begonnen, sich selber schöner zu besingen. Martin Ott

Die Begeisterung für Vielfalt und deren Förderung zeigt sich in allen Bereichen und sie wirkt sich gleichzeitig positiv auf das Betriebsergebnis aus, zum Beispiel bei den Kühen, unter denen es Schweizer Fleckvieh, reine Simmenthaler, Original Braunvieh, Eringer, schwarzbunte Holsteiner und alle möglichen Kreuzungen gibt.
Ein Teil der Kühe verbringt den Sommer auf der Alp Walop im Simmental, die zum Betrieb gehört. Einige Schweine und Ziegen dürfen dann auch mit hinauf. Von dort wird im Herbst der Käse ins Tal gebracht und schliesslich auf Gut Rheinau bis zur Genussreife gepflegt.
Auch bei den fünfhundert Hochstamm-Apfelbäumen und beim Wein, sowie beim Gemüse und Getreide zeigt sich die Vielfalt.

Vielfalt als Ernteausfallversicherung

Inzwischen haben Moritz Ehrismann und David Jacobsen die Verantwortung für den Acker- und Feingemüsebau übernommen. Ihre Erfahrungen zeigen, dass die Vielfalt den Betrieb vor grösseren Schädlingsproblemen und wetterbedingten Ertragsausfällen schützt, sich also positiv auf das Betriebsergebnis auswirkt.
Auf Gut Rheinau werden auf vier Hektar über vierzig verschiedene Gemüsesorten angebaut und auf gut siebzig Hektar Ackerfläche neben Hackfrüchten, Futter, Körnern und Leguminosen in elfjähriger Fruchtfolge zwölf verschiedene Getreidesorten.

In sehr heissen, trockenen Sommern haben wir sehr gute Erträge bei Kulturen, welche die C4-Photosynthese machen können, aber auch bei anderen Pflanzen, die besonders gut mit starker und lange andauernder Sonneneinstrahlung umgehen können. Wir haben dann sehr gute Erträge bei Mais, Auberginen, Melonen, Trauben und Hirse. In regenreichen, eher kühlen Sommern wächst dagegen eigentlich alles sehr gut, was in der Mittelmehrregion im Winter angebaut wird, also zum Beispiel Kohl, Zuckererbsen, überhaupt Erbsen, Radieschen, Fenchel, Spinat.

sagt David Jacobsen, der für den Feingemüseanbau auf Gut Rheinau
verantwortlich ist.

Wenn man bei uns die Buchhaltung der letzten zehn Jahre anschaut, dann kann man sehen, dass da eigentlich immer ein Ausgleich erreicht wird. Da gibt es beim Gesamtumsatz kaum Schwankungen, selbst die Dürre 2018 haben wir finanziell kaum gemerkt. Da wurde viel durch die Rekordernte bei den Trauben ausgeglichen.

sagt Moritz Ehrismann, verantwortlich für den Ackerbau auf Gut Rheinau.

Vielfalt im Gleichgewicht

Wenn Bauern und Gärtner über agrarökologische Kenntnisse verfügen und diese praktisch anwenden, dann können sie der Natur dabei helfen, dasjenige zu erreichen, was sie von sich aus sowieso immer anstrebt: innerhalb ihrer Lebenswelten Einseitigkeiten auszugleichen und in Gleichgewichtszustände zu bringen.
«Viele Schädlingsprobleme treten bei uns gar nicht erst auf, wegen des präventiven Ansatzes», sagt David Jacobsen. Aber was heisst das konkret?
Längst wurde wissenschaftlich bewiesen, dass durch Vielfalt im Gemüsebeet (Mischkultur) und im zeitlichen Verlauf (Fruchtfolgen) der Schädlingsdruck gesenkt werden kann. Das sind typische präventive Massnahmen, die auch auf Gut Rheinau praktiziert werden. Daneben wird darauf geachtet, dass die Nützlinge Zugriff haben zu den Gemüsebeeten. Das wird durch Blühstreifen zwischen den Gemüsebeeten erreicht und dadurch, dass die Gemüsebeete nicht breiter sind als 1.5–3 Meter sind.
Vielfalt als Schutz vor Schädlingsbefall beginnt aber schon beim Saatgut.

Wir machen ja Vermehrung für biologisch-dynamisch zertifiziertes Bio-Saatgut und arbeiten bei der Züchtung und Vermehrung mit der Sativa AG zusammen. In der Züchtung geht es ja auch immer um Resistenzen. David Jacobsen

Konventionelles Hybridsaatgut der gleichen Sorte hat zu hundert Prozent die gleiche Genetik. Wenn Schädlinge sich weiter entwickeln, was sie fortwährend tun, und Resistenzen gegen synthetische Pestizide entwickeln, oder Resistenzen der Pflanzen durchbrechen, dann erfordert das immer mehr und oft auch immer giftigeres Gift, oder es ist gleich der ganze Bestand gefährdet.
Beim samenfesten Biosaatgut ist das nicht so. Da gibt es eine gewisse genetische Vielfalt innerhalb der gleichen Sorte. Das ist auch Zuchtziel, weil die genetische Vielfalt dazu führt, dass immer nur einige Pflanzen von einem bestimmten Schädlingsbefall auf dem Acker oder dem Gemüsebeet betroffen sind.
Im Ackerbau bewegt sich der Schädlingsbefall auf tragbarem Niveau. Da wird nur mechanische Unkrautbekämpfung gemacht. Im Gemüseanbau gelingt die Schädlingsregulierung durch den präventiven Ansatz in Kombination mit den Massnahmen, die im biodynamischen Landbau erlaubt sind, im grossen und ganzen gut. Probleme gibt es aber nach wie vor bei den Kartoffeln mit der Krautfäule. Die Hälfte ihrer Kartoffeln werden inzwischen vom Nachbarn angebaut, weil sich dessen Boden besser für Kartoffeln eignet. Für die übrigen Kartoffeln wird versucht darauf hinzuarbeiten, dass so schnell wie möglich kräftige gesunde Pflanzen wachsen. Wenn die Krautfäule dann später doch noch kommt, richtet sie keinen so grossen Schaden mehr an.
Die Strategie hierfür ist, den exakt richtigen Zeitpunkt zum Setzen zu erwischen. Danach arbeiten die Kartoffelbauern mit kleinen Dämmen, damit das Wasser besser abfliessen kann und der Boden schnell warm wird. Die Dämme werden dann in drei Stufen mit dem Wachstum der Pflanzen immer mehr angehäufelt. Diese Strategie funktioniert einigermassen gut. Was dann noch an Ernteverlusten auftritt, müssen die anderen Kulturen auffangen, von denen es ja viele gibt. Denn ganz will man auf den Kartoffelanbau nicht verzichten.

Von Christopher Schümann

Dieses Hofportrait ist zuerst erschienen im Magazin des Bodenfruchtbarkeitsfonds. Der Bodenfruchtbarkeitsfonds ist ein Projekt der Bio-Stiftung Schweiz mit dem Ziel, dass möglichst viel fruchtbarer Boden an nachfolgende Generationen übergeben werden kann. Mehr Infos unter: bodenfruchtbarkeit.bio

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Gut Rheinau
Rheinau
Pächtergemeinschaft Ladina & Moritz Ehrismann, Patrik Forster, Andi Wälle, Ulrike Beers, Jenice & David Jacobsen
73 ha
20 ha
3 ha
Demeter, Bio-Suisse Knospe
Alle Getreidearten, Kuh- und Ziegenmilch, Freilandgemüse, Honig, Hochstammobst, Wein und Spirituosen, Brot und Saatgut
11 jährige Fruchtabfolge 73ha (KW, KW, WW, HF, WR, KW, SE/WD, HF, LG, WW, SH)
Getreidebau 26 ha
Hackfrucht 15 ha
Futterbau 26 ha
Körner, Leguminosen 6 ha
Milchvieh 50-60
Stiere 1-3
Rinder 70 in Aufzuchtbetrieb
Schweine 5-20 (1-2 Mutterschweine)
Pferde 8
Ziegen 14
Hühner 50
Bienenvölker 20
350 m ü. M.
700 mm
Mmittelschwere Parabraunerde
Rebbau 3.45 ha
Obstbau (Hochstamm) 500 Stk.
Öko-Flächen 21 ha
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