Nutztiere und Menschenverantwortung

Anet Spengler Neff und Florian Leiber vom Forschungsinstitut für ökologischen Landbau Schweiz (FiBL) erforschen durch sorgfältige Beobachtung, was Kühe brauchen, um sich wohl zu fühlen und was dies für eine veränderte Nutztierhaltung bedeuten kann. Hiervon berichten sie in einem Interview mit Florianne Köchlin.

Menschen haben Tiere domestiziert, seit alters her – Rinder, Hühner, Hunde, Schweine. Die eine Seite ist: Der Mensch gibt ihnen Futter, schützt sie vor Raubtieren wie dem Wolf und vor der Witterung. Ohne diese Bedingungen wäre das domestizierte Tier zum Tode verurteilt.

“Doch es gibt auch die andere Seite der Medaille”, sagt Florian Leiber. “Wir schützen unser Tier nicht nur vor Raubtieren, Hunger und Witterung, wir nehmen ihm auch seine Umwelt und einen grossen Teil seiner natürlichen Verhaltensweisen weg. Wir schneiden die Tiere von ihrem Bewegungsdrang in einer weiten Landschaft ab, wir schneiden sie von ihrem Geschlechtsleben und von einem Teil ihres Soziallebens ab. Wir verwehren ihnen die Aufzucht der eigenen Nachkommen. Wir berauben sie differenzierter Geschmackserlebnisse, ersetzen das durch die Eintönigkeit gutgemischter Alleinfuttermittel mit perfekt designter Nährstoffzusammensetzung. Das grenzt an Tierquälerei.”

Massentierhaltung und Qualzucht sind Auswüchse, die wir hinter uns lassen müssen. Da sind wir uns einig. Was also, frage ich die beiden, könnte ein fairer Deal zwischen uns und den Tieren sein?

“Im Biolandbau ist man schon ein Stück in diese Richtung gegangen”, meint Anet Spengler Neff. “In der Schweiz füttern wir an Wiederkäuer kein oder nur sehr wenig Kraftfutter. Die Tiere müssen im Sommer auf der Weide fressen können, an 26 Tagen im Monat. Einige Abmessungen in den Ställen sind grosszügiger als im Normbetrieb. Alle Jungtiere müssen mit Vollmilch aufgezogen werden.”

Wir müssen versuchen, von den Tieren zu lernen, wie sie gern leben, und diese Einsichten im Rahmen einer zeitgemässen landwirtschaftlichen Tierhaltung dann auch umsetzen.

Doch auch im Biolandbau gebe es noch viel zu tun. So sollte eine Vielfalt an Heu obligatorisch sein, ebenso die muttergebundene Kälberaufzucht. Ein Stier gehöre in die Herde, und Kühe sollten nicht enthornt werden dürfen. Anet Spengler Neff ergänzt: “Ein wichtiges Thema ist zudem die Hof- oder Weideschlachtung. Das ist seit kurzem in der Schweiz endlich unter bestimmten Umständen möglich. Es erspart den Tieren viel Stress und Angst, wenn sie in der gewohnten Umgebung, bei ihren vertrauten Artgenossen und Menschen, sterben können. Denn wenn wir Tiere halten, sind wir auch für ihren Tod verantwortlich.”

Letztlich geht es um die Frage, was wir den Tieren, die uns im wirtschaftlichen Sinne enorm viel geben, auch zurückgeben können. Ein fairer Deal bedeutet denn vor allem auch, dass wir Haustiere – Rinder, Schweine oder Hühner – mit einem neuen Blick anschauen. Wir müssen versuchen, von den Tieren zu lernen, wie sie gern leben, und diese Einsichten im Rahmen einer zeitgemässen landwirtschaftlichen Tierhaltung dann auch umsetzen.

Auszug aus dem Buch ‘Von Böden die klingen und Pflanzen die Tanzen’ von Florianne Koechlin

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