Ein Rückblick vom Radhof.

Nun gehöre auch ich bald der abtretenden Generation von Betriebsleitern an, welche auf ein Leben und auf die Arbeit mit Tieren, Feld- und Ackerbau zurückschauen darf. So möchte ich die Gelegenheit nutzen, einen kurzen Rückblick auf die Jahre des Wirkens zu halten (allenfalls da und dort ein wenig des Schaffens) und einzelne Begebenheiten in Erinnerung zu rufen. Das Jahr 2021 ist für uns ein besonderes Jahr. Besonders darum, weil wir unser 25-Jahr-Jubiläum der Umstellung auf biologischen Landbau feiern dürfen. Gewiss, es ist aufgrund der uns allen aufgezwungenen ‹pandemischen› Einschränkungen (noch) kaum an die Freude, an irgendwelche Feiern zu denken. Beim Bauern zählt speziell die Freude am Tun draussen in der Natur, es ist wohl etwas vom Wichtigsten überhaupt und sinnhaft noch obendrein. Nichtsdestotrotz, es gibt auch Formen, sich im Kleinen, im Inneren zu freuen. Wenigstens dies kann uns niemand nehmen.

Der Radhof im zürcherischen Weinland

 

Ein Erbe weiterentwickeln

Den Betrieb am Radhof in Marthalen durften meine Frau und ich 1992 pachtweise von meinen Eltern übernehmen. Wir stiegen in die übernommene konventionelle Landwirtschaft mit 12 Milchkühen, ein paar
Mastrindern und Ochsen ein. Meine Frau brachte ein geschenkt bekommenes Pferd, die Walina, mit auf den Hof, welche den Anfang für die spätere Ausrichtung des Hofes machte. Gleich begannen wir mit Fohlenaufzucht und hatten mehrere Jahre bis zu jährlich 15 Fohlen von verschiedenen Besitzern in unserer Obhut. Nebst Naturwiesen und Weiden gediehen auf dem Acker Kunstwiesen, Silomais, Kartoffeln, Raps, Weizen, Gerste, Konserven-/Tiefkühl-bohnen, -erbsen, -spinat und Zuckerrüben. Die Betriebsfläche lag um die 16 ha. Drei ha Wald gehörten ebenfalls dazu, welcher vor allem das Brennholz für den Winter lieferte.
Nach vier Jahren des ‹Einarbeitens› in die selbständige Betriebsführung wagten wir 1996 den Schritt und stellten den Betrieb auf Bio gemäss den Richtlinien von Bio Suisse um. Ein Entscheid, welcher in unserer Umgebung nur sehr spärlich positiv aufgenommen wurde. Auch bei meinen Eltern hielt sich die Begeisterung in Grenzen, vielmehr fürchteten sie, der Dorfgeist könne sie ausgrenzen. Sie waren sehr verunsichert, da sie zur Genüge hören mussten, dass «das mit dem Bio» nicht funktionieren werde … und überhaupt, wo kämen wir denn hin, wenn nun alle biologisch wirtschaften würden … (Der Mainstream hatte schon damals, wie eigentlich immer, eine unglaubliche Wirkung auf die Denkweise und das Verhalten der Menschen).

Unsere Überzeugung, das Richtige zu tun, liess bei uns keinen Zweifel aufkommen und wir verfolgten den neuen, spannenden, aber auch fordernden Weg. Pläne wurden geschmiedet und umgesetzt, mit Neubauten für die Tiere bessere Unterkünfte bereitzustellen, den neuen Anforderungen an die Güllelager zu entsprechen, für den Ausbau der Milchkuhherde Silolagerplätze zu schaffen und den Hof mit einer Pferdepension zu erweitern. Grosse Ideen mit grossen finanziellen Folgen. Die Frage war ja stets, wie wir die Umstellung zusammen mit den geplanten Investitionen wirtschaftlich meistern würden. Die Fruchtfolgen wurden geändert, Kulturen wie Zuckerrüben, Raps und Spinat waren im biologischen Anbau sehr schwierig und sehr arbeitsintensiv. Hinzu kam damals, dass sich für viele Bio-Erzeugnisse keine Käufer finden liessen. Jedenfalls nicht solche, welche ihrerseits Käufer gehabt hätten und uns einen adäquaten Preis hätten bezahlen können oder wollen. Dies war wohl eine der wichtigsten Erfahrungen, welche die Umstellung mit sich brachte. Hatten wir doch bis anhin für alle Erzeugnisse Abnahmevereinbarungen und konnten sie bequem unserer Landi, der Zuckerfabrik oder der Getreidesammelstelle usw. abliefern und mussten uns nicht weiter um die Vermarktung kümmern.

Viele Sicherheiten waren nun plötzlich nicht mehr da und unsere Fantasie wurde ausserordentlich geprüft. Unsere treuesten Begleiter waren die Unsicherheit und der Respekt vor einem finanziellen Scheitern. Es folgten dann tatsächlich auch Jahre, wo die Liquidität nur durch weitere Vereinbarungen mit unserer Hausbank aufrechterhalten werden konnten. Magere Jahre waren angesagt, wo es galt, den Gürtel eng zu schnallen, um den verschiedensten Forderungen von aussen trotzdem gerecht zu werden. Es waren aber auch Jahre, wo für Biomilch gute Preise realisiert werden konnten und dies unsere Situation doch eigentlich ordentlich erscheinen liess.

Auf dem Feld wurde von Beginn weg allerhand für uns ‹Neues› ausprobiert bzw. angebaut. Wir bauten verschiedene Salate für die Fertig-Mischsalatproduktion auf 1 ha Fläche jeweils satzweise an, diese wurden täglich früh geschnitten und abgeliefert – eine Kultur, welche völlig neu für uns war. Schon bald machten wir Bekanntschaft mit ungemütlichen Bewohnern des saftigen Grünzeugs – Läusen – und davon nicht knapp. Stets gab es Neues und wir lernten zum zweiten Mal den Beruf des Landwirtes, diesmal autodidaktisch. Wir selber waren es, die uns den Lehrstoff vorgaben, und wir waren sehr interessiert und voller Tatendrang, um alles zu meistern.  Nebst den bisher angebauten Kulturen wie Kartoffeln und Saatgetreide kamen neue Feldkulturen dazu: Karotten, Zwiebeln, Rote Bete (Randen), im kleineren Stil auch Himbeeren, Melonen und Peperoni.

Die Vermarktungsgenossenschaft Terraviva

Für die Vermarktung der Kartoffeln, Karotten, Randen und weiteren Lagergemüse gab es 1996 für die produzierenden Bauern noch keine zufriedenstellende, koordinierte bäuerliche Vermarktungsorganisation.
Bei Zusammenkünften einer Gruppe Ostschweizer Bauern kam der Wunsch auf, etwas ‹Bäuerliches› auf die Beine zu stellen. Dies kam dank der grossen Initiative und der Koordination des Biowein-Pioniers und damaligen Lehrers für Biolandbau am Strickhof, Fredi Strasser, 1997 zustande. Die Genossenschaft «Terraviva» wurde mit dem Ziel gegründet, mit Verarbeitern Verträge abzuschliessen betreffend Lagerung, Verarbeitung und Konditionierung für den Verkauf der Erzeugnisse wie Kartoffeln, Karotten, Zwiebeln, Randen. Die Genossenschaft selber war für die Vermarktung an die verschiedenen Abnehmer verantwortlich (seit 2014 ist es die Biogroupe). Eine sehr spannende und lehrreiche Zeit für mich als damaliges Gründungs-Vorstandsmitglied.

Krise und intensive Jahre

Nach zwölf Jahren gemeinsamer Hofführung und des Aufbauens zusammen mit meiner Frau Ruth kam dann alles ganz anders und vieles schien aus dem Ruder zu laufen. Meine liebe Frau wurde vom Herrn abberufen und liess uns, meine drei Kinder und mich, zurück. Ich denke, es bedarf keiner Beschreibung, um zu ahnen, was dies alles für uns bedeutete. Schwierige Jahre folgten, und doch sollte den Kindern Mut und Zuversicht vermittelt werden.
Nach einer anfänglich sehr dunklen, ratlosen Phase erwachten die Lebensgeister wieder und die noch gemeinsam geplante Weiterentwicklung unserer Pferdepension wurde wieder aufgenommen. Gewiss waren es sehr intensive Jahre, jedoch waren sie wohl auch nötig, um das Geschehene anfänglich besser zu verdrängen und später auch zu verdauen, respektive zu verarbeiten.
Schon Jahre zuvor wurde die Milchviehherde von damals 30 Kühen in eine Mutterkuhherde umgewandelt. Wurde anfänglich Naturabeef produziert, stellten wir dann später auf Bioweidebeef um. Die Rinder entstammten aus unserer eigenen Mutterkuhherde. Die Herde wurde verkleinert und mit der Rasse Limousin starteten wir schon vor Jahren den Direktverkauf des ‹Weidebeefs› ab Hof.

Mutter v. Karl – Hedy, Tochter Anja, Tochter Lara (Landwirtin), Partnerin Katharina, Karl

Im Laufe der Jahre zeichnete sich ab, dass die jüngste Tochter Lara den Hof gerne weiterführen würde. Nach einer Lehre im Gastgewerbe erlernte sie noch den Beruf der Biobäuerin und ich kann mich nun sehr glücklich schätzen, dass wir den Hof momentan zusammen bewirtschaften dürfen. Und wie sollte die mir nun plötzlich mehr zur Verfügung stehende Zeit genutzt werden? Tja, Ideen, Träume und Wünsche gibt es ja immer. Meine Vision war, mich vermehrt mit altem Getreide bzw. alten Sorten zu beschäftigen. Daraus ist nun ein vor drei Jahren entstandenes Projekt des Anbauens, Lagerns, Reinigens, Vermahlens, Verpackens und Vermarktens des Getreides geworden. Es sollte also noch einmal ein neues Lernen werden, nochmals die Bündelung und Umsetzung von Ideen. Stetig und beharrlich und mit dem Vertrauen darauf, dass es gut kommen wird.

Das Leben, bzw. das Erlebte hinterlässt seine Spuren, so ist es auf jedem Hof, in jeder Familie. Wo Entwicklungen gehemmt oder gar zerstört werden, ergeben sich meist auch neue Möglichkeiten. Wir Landwirte werden sie hoffentlich weiterhin positiv nutzen, auch zugunsten eines sinnhaften Lebens und einer schönen Zukunft für unsere Kinder.

Karl Ritter, Kanton Zürich, 2021

Text bereits erschienen in Kultur und Politik 1/2021, zur web site: https://www.bioforumschweiz.ch/kultur-und-politik/

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Radhof
Marthalen (Weinland/ZH)
Karl Ritter (Hofabgeber) und Lara Ritter (Hofübernehmerin)
Karl Ritter, Betriebsleiter im ‹Übergabemodus›, Zuständigkeit: … für alle Fälle. Katharina Kühne, Musikerin, Lebenspartnerin, teilzeitlich tätig am Radhof, zuständig für das leibliche Wohl, Gemüsegarten, Hofbäckerei, Hofladen, Eingemachtes, Haus und Verpflegung. Lara Ritter (Tochter im ‹Übernahmemodus›, momentaner Schwerpunkt Pferde und Reitunterricht, Rinder und Vermarktung). Anja Ritter (Tochter, welche ca. 50% Teilzeit mithilft, Schwerpunkt Pferde, Büro, HP, Mithilfe überall). Praktikantin (Studium Pferdewissenschaften HAFL)
3 ha
26 ha Nutzfläche, davon 22% Biodiversitätsförderflächen,
verschiedene Getreidearten, Wiesen und Weiden, Erbsen, Bohnen,
Hausgarten, , Gemüsegarten,
34 Hochstammfeldobstbäume, 30 weitere Feldbäume.
Mutterkühe mit Stier, Kälbern und Absetzer, Total ca. 17 GVE
Pferdepension im Gruppenstall und Boxen mit Auslauf, eigene Pferde und Ponys für das Angebot Reitunterricht für Kinder und Erwachsene, total Pferde-GVE 22
16 Sulmtaler-Hühner mit Hahn für den Eigengebrauch
390 m ü. M.
Getreideprojekt mit alten Getreidearten und Getreidesorten, vom Anbau bis zur Vermarktung von Korn und Mehl, alle Schritte werden am Radhof gemacht. www.ritterkorn.ch
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