Blacke – Eine Nutzpflanze wird Unkraut und wieder Nutzpflanze

Die Blacke, auch Ampfer genannt (Rumex obtusifolius, in höheren Lagen Rumex alpinus), war im Alpenraum eine von jeher verbreitete und geschätzte Nutzpflanze. Der Hauptverwendungszweck ihrer Blätter bestand in der Herstellung einer Art Sauerkraut, des sogenannten Mass. Beim Heuen oder Emden wurden die wild wachsenden Pflanzen stehen gelassen, um die natürliche Vermehrung zu fördern. Bündelweise wurden Blacken gesammelt, gekocht, abgetropft und mit Gewürzkräuter, später mit Salz, in luftdichte Behälter gestampft. Nach eintretender Milchsäuregärung wurden sie ein haltbarer und geschätzter Bestandteil der bäuerlichen Ernährung. Auch für die Schweinefütterung wurde aus rohen gestampften Blackenblättern Mass hergestellt. Ein Bündner Bauer aus Arosa berichtete, es sei dadurch ein viel besser schmeckendes Fleisch zu erzielen; dieses sei haltbarer als der Speck aus den üblicherweise mit Abfällen gefütterten Tieren. Der Speck bleibe sieben bis acht Jahre frisch und werde nicht ranzig. So sehr hatten sich die Bauern an die Blacken gewöhnt, dass noch 1910 ein Bauer aus Rüschegg BE, der im Unterland ein Heimwesen gekauft hatte, nach Hause schrieb, man möge ihm doch bitte Blackensamen schicken, da es auf seinem neuen Heimwesen keine Blacken gebe. (…)

Heute ist die Blacke eines der meistgejagten Unkräuter. Die biologischen Bauern bekämpfen sie durch mühsames Ausstechen der Wurzeln, Bauern, die konventionelle Landwirtschaft betreiben, durch grossflächiges Vergiften mit spezifisch auf breitblättrige Pflanzen wirkenden Unkrautvertilgungsmitteln oder durch Einzelstockbehandlung mit dem sogenannten Blackengewehr. Heute verursacht die Blacke mithin grosse Kosten. Viele Bauern wagen deshalb nicht, auf eine naturnahe und biologische Bewirtschaftung umzustellen: Sie haben tatsächlich zu grossen Respekt vor der Pflanze und fürchten, ohne die chemische Bekämpfung könne man des Problems nicht mehr Herr werden.

Was ist passiert? Die Blacke liebt verdichteten und mit Stickstoff überdüngten Boden. Darum finden wir die Pflanze dort in Monokultur, wo Tiere den Boden überbelasten (der Boden wird verdichtet) oder wo ihren Kot und Harn deponieren (der Boden wird überdüngt): auf den Standplätzen um die Ställe herum, gut sichtbar vor allem in den Alpen. Dort fühlt sich die Blacke wohl; sie duldet, indem sie mit ihren grossen, breiten Blättern viel Schatten verursacht, keine Konkurrenz.

Nun ist der Eintrag von Stickstoff in unsere landwirtschaftlichen Böden im letzten Jahrhundert enorm gestiegen, vor allem nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg: Nach Kriegsende konnte Stickstoff nicht mehr für Sprengstoff in Bomben und Waffen verwendet werden und wurde den Bauern billig abgegeben. So verdichtete und überdüngte die Landwirtschaft langsam die Böden. Stickstoff aus der Erdölverbrennung für Heizungen und Verkehr, der mit dem Regen zusätzlich in die Böden gelangte, verschärfte diese Situation. Der heutige Zustand der Böden fördert die Ausbreitung der Blacke stark. Dies geschieht sowohl in den Ackerböden als auch in den Naturwiesen. Hinzu kommen immer schwerere Maschinen: Ein normaler Traktor hat heute, zusammen mit einem Heuladewagen oder einem mittleren Jauchefass, ein Gewicht von rund zehn Tonnen. Ein Mähdrescher wiegt rund zwanzig Tonnen, ein Zuckerrübenvollernter, der im November in die nassen Böden fährt, bis sechsunddreissig Tonnen.

Neben der Bekämpfung der Blacke gibt es aber auch noch eine andere Methode, um zu reagieren. Der bekannte Schweizer Biobauer der ersten Stunde, Ernst Frischknecht, schrieb schon vor Jahren: „Die Blacke, dein Freund und Helfer.“ Damit irritierte er einen grossen Teil der bäuerlichen Öffentlichkeit. Er selbst liess die Pflanzen auf seinem Hof wachsen. Nur die Blacke, so Frischknecht, helfe dem Boden, eben genau die Situation, die sie fördert, auch langfristig wieder zu verbessern. Ihre riesige, unheimlich zähe und starke Pfahlwurzel führe den verdichteten Böden wieder Luft zu; die wuchernden, massebildenden Blätter entzögen den verstickten und überdüngten Böden genau das Zuviel an Dünger. Damit reguliere die Blacke dank ihrer Spezialisierung langfristig den Standort; mit der Zeit schaffe sie sich dann selber wieder ab. Sie hinterlasse einen ausgeglicheneren, lockereren und nicht mehr überdüngten Boden und wirke so als Heilmittel gegen die begangenen Fehler der Landwirtschaft. Daher sei es schlicht falsch, sie zu bekämpfen.

Tatsache ist, dass Blacken auf magereren und nicht mehr so verdichteten Standorten bald einmal von einem spezifisch leuchtenden, grünblau schillernden Blackenkäfer (Gastrophysa viridula) befallen werden. Dieser frisst, zusammen mit seiner bald schlüpfenden Kinderstube, die Blätter bis zum Kahlfrass weg und schwächt so die Pflanze, bis sie verschwindet.

Martin Ott, Kanton Zürich, 2014

Text erschienen in: Florianne Koechlin: Jenseits der Blattränder. Eine Annäherung an Pflanzen. Basel 2014. S. 164ff.

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