Der phänologische Kalender

Weil auf Kalenderangaben vom gärtnerischen Gesichtspunkt her kein Verlass ist, tut man gut daran, sich am phänologischen Kalender zu orientieren. Der hat nicht vier, sondern zehn Jahreszeiten. Diese Jahreszeiten beginnen und enden nicht an einem bestimmten Kalendertag, sondern werden konkreten Ereignissen in der Pflanzen- und Tierwelt zugeordnet. Diese Zeigerpflanzen sind sehr zuverlässig. Sie „spüren“ ganz genau, wann die Zeit gekommen ist, zu blühen, zu fruchten oder die Blätter fallen zu lassen. Damit Sie die jeweiligen Zeigerpflanzen besser identifizieren können, finden Sie im beiliegenden Aussaatkalender farbige Bilder dazu.

Schummeln gilt nicht! Wer einen Forsythienzweig vorzeitig zum Blühen bringt indem er ihn in die Vase stellt oder ein einziges blühendes Schneeglöckchen an einer geschützten Hauswand als Indikator verwendet, betrügt sich selbst. Als Indikator gelten die jeweiligen Pflanzen nur, wenn sie nicht speziell geschützt sind. Sie sollten zudem in der Nähe Ihres Gartens stehen. Ein Einzelereignis reicht als Indikator nicht aus. Vielmehr sollte der überwiegende Teil der Pflanze, oder noch besser: mehrere Pflanzen, blühen, fruchten oder ihre Blätter abwerfen um die phänologische Jahreszeit zuverlässig anzuzeigen.

Vorfrühling

Der Vorfrühling ist die Phase mit den grössten Schwankungen. Er kann schon Ende Dezember beginnen oder erst im März eintreffen. Im Schweizer Mittelland stellt sich der Vorfrühling häufig Mitte Februar ein und dauert dann ungefähr bis Mitte oder Ende März. Der Vorfrühling beginnt, wenn die Kätzchen der Haselsträucher stäuben, Schneeglöckchen, Winterjasmin und Erlen blühen und die Lerchen zurückkehren. In dieser Zeit treibt der Bergahorn aus und der Huflattich blüht. Gegen Ende des Vorfrühlings blühen Krokus, Kornelkirsche und Salweide.

Die Blüte des Huflattichs ist ein gutes Signal für viele Gartenarbeiten: Er blüht, wenn im Boden eine Temperatur von 6 Grad Celsius herrscht. Das bedeutet, dass man im Freiland erste Aussaaten unter Vlies wagen kann. Bei diesen Temperaturen kann man auch schon Gründüngungen einsäen, Frühbeete herrichten und im Haus mit der Anzucht von Setzlingen beginnen. Das Schneeglöckchen blüht früher als der Huflattich, es eignet sich als Indikator für die Anzucht von Pflanzen, die eine lange Entwicklungszeit haben, wie z.B. Auberginen.

Erstfrühling

Blühende Forsythien und Buschwindröschen markieren den Beginn des Erstfrühlings. Weniger gut erkennbar, aber genauso zuverlässig ist die Blattentfaltung der Stachelbeere. Wiesen und Weiden werden jetzt grün, Rosskastanien und Birken treiben Blätter, kurz darauf folgt der Blattaustrieb bei Rotbuche, Linde und Ahorn. Danach blühen Stachel- und Johannisbeeren, gefolgt von Pflaume, Birne und Kirschen und zum Schluss dem Löwenzahn. Der Erstfrühling beginnt im Schweizer Mittelland häufig Mitte März und dauert bis Ende April. In dieser Zeit ist im Garten Hochsaison für die Setzlingsanzucht. Einige Pflanzen können bereits in Freie, müssen aber meistens noch vor Spätfrösten geschützt werden.

Vollfrühling

Der Vollfrühling startet Ende Februar im Südwesten von Portugal und erreicht ca. 90 Tage später das 3’600 km entfernte Finnland. Er zieht also mit einer Geschwindigkeit von 1,6 km/h nordwärts und legt dabei täglich rund 40 Kilometer zurück. Pro Tag erklimmt er rund 30 Höhenmeter. Bis der Vollfrühling die Spitze vom Matterhorn auf 4’478 m.ü.M. erreicht hat, ist es allerdings schon beinahe wieder Herbst….

Im Vollfrühling steigen die Temperaturen, die Tage werden länger und die Pflanzen entwickeln sich rasch. Der Vollfrühling beginnt mit der Apfelblüte, wenig später blühen die Sommerhimbeeren. Kurz darauf blüht auch der Flieder und die letzten Laubbäume entfalten ihr Laub. Da und dort hört man jetzt den Kuckuck rufen, Mehlschwalben und Maurersegler kehren zurück. Die Nachtfrostgefahr nimmt nun deutlich ab. Die Fliederblüte eignet sich besser als die Eisheiligen um das Abklingen der Nachtfröste anzuzeigen. Nach der Fliederblüte kann im Freien gegärtnert werden. Jetzt heisst es Ärmel hochkrempeln und Grabgabel fassen und gleichzeitig Augen auf für Schnecken, die in dieser Zeit ebenfalls aktiv werden. Der Vollfrühling beginnt im Schweizer Mittelland meistens Ende April und zieht sich bis Ende Mai hin.

Frühsommer

Zuverlässig frostfreie Zeiten brechen erst mit der Blüte des Schwarzen Holunders an. Nun blühen auch die Wiesengräser, die Wiesenmargerite und der türkische Mohn. Dass in dieser Zeit die Heuernte beginnt merken viele Leute am Heuschnupfen. Im Schweizer Mittelland fällt der Frühsommer meistens in den Juni.

Im Garten sind in dieser Zeit bei verschiedenen Gemüse- und Salatarten schon die ersten Folgesaaten angebracht. Aussaaten von Herbst- und Wintergemüse, wie zum Beispiel Rosenkohl oder Federkohl, sind nun aktuell.

Hochsommer

Wenn die Linden und die Wegwarten blühen und im Garten reife Johannisbeeren und Süsskirschen gepflückt werden können, ist Hochsommer. Lavendel, Madonnenlilie und Kartoffeln strecken ihre Blüten nun ebenfalls der Sonne entgegen. Auf den Feldern wird das erste Getreide, die Wintergerste, gedroschen. Der Hochsommer stellt sich im Schweizer Mittelland gegen Ende Juni ein und dauert bis Anfang August.

Im Garten wird in dieser Zeit vor allem geerntet. Vorausschauende Spriessbürgerinnen und Spriessbürger sorgen dafür, dass der Nachschub anhält. Sie säen spätes Gemüse wie Fenchel, Chinakohl, Radicchio, Endivie, Zuckerhut und Randen, damit die Ernte nicht schon in ein paar Wochen zu Ende ist.

Spätsommer

Wenn die ersten Frühäpfel, Felsenbirnen, Frühzwetschgen und Ebereschen reif sind beginnt der Spätsommer. Ihn kündigt die Blüte des Heidekrauts und der Herbstanemone an. Der Spätsommer findet im Schweizer Mittelland in der Regel im August statt. Im Garten heisst es nun so viel wie möglich nachpflanzen und ernten, ernten, ernten.

Frühherbst

Zeigerpflanzen für den beginnenden Frühherbst sind blühende Herbstzeitlose, reife Holunderbeeren, Brombeeren, Haselnüsse und Kornelkirschen. Auf den Äckern dominiert der Mais, der nun seine volle Höhe erreicht hat. Der Frühherbst beginnt im Mittelland in der Regel Ende August und endet Mitte September. In dieser Zeit können noch einige Wintergemüse gesät werden, ansonsten ist weiterhin vor allem ernten angesagt.

Vollherbst

Im Vollherbst wird der Tisch für die Waldbewohner reich gedeckt: Die ersten Eicheln und Rosskastanien fallen vom Baum. Quitten und Baumnüsse sind nun reif und in den Rebbergen ist die Weinlese in vollem Gange. Gegen Ende des phänologischen Vollherbstes verfärben sich die Blätter der meisten Laub- und Obstgehölze. Den Anfang macht der Wilde Wein. Diese Phase dauert im Mittelland von Mitte September bis Mitte Oktober. Im Garten können noch Winterkefen, Winterpuffbohnen und Winterspinat gesät werden. Für alle anderen Gemüse sollte man ein Vlies bereithalten um sie notfalls vor den ersten Nachtfrösten zu schützen.

Spätherbst

Der Spätherbst beginnt, sobald sich das Laub der Stieleiche herbstlich verfärbt und Laubgehölze wie Rosskastanie, Eberesche, Hängebirke und Rotbuche ihre Blätter abwerfen. Winterraps und Wintergetreide verleihen den Feldern noch ein letztes grünes Kleid, bevor die Vegetationsruhe beginnt. Im Mittelland stellt sich der Spätherbst meistens von Mitte Oktober bis Anfang November ein. Im Garten wird es ruhiger. Da und dort gibt es noch etwas zu ernten. Ausser auf dem Fenstersims werden nun aber keine Aussaaten mehr gemacht.

Winter

Der Blattfall der Stieleiche und der Nadelfall der Europäischen Lärche markieren den Beginn des phänologischen Winters. Die heimischen Pflanzen machen eine Winterruhe, sie lassen sich auch nicht beirren, wenn es einmal ein paar Tage lang milder ist. Andere, ursprünglich nicht in der Schweiz heimische Kulturen, lassen sich eher irritieren. Sie fangen an Schönwettertagen auch mal zu früh mit dem vegetativen Wachstum an. Das müssen sie dann büssen: Sie wintern aus, wenn es danach wieder tiefe Temperaturen, verbunden mit wenig Schnee, gibt. Der Winter beginnt im Mittelland häufig Anfang November und dauert meistens bis Mitte Februar. Die Blüte der Zaubernuss signalisiert, dass der Erstfrühling nicht mehr allzuweit entfernt ist.

Quelle: Spriessbürger – Handbuch für den Anbau von Gemüse und Salat in der Schweiz, Eveline Dudda und Klaus Laitenberger, Seite 10-13, erschienen Herbst 2015.

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