Hofleben früher in Westfalen – 1950-1965

Es war einmal – ein richtiger Bauernhof….

… mit zwei Pferden, neun Kühen und dazugehörigem Jungvieh. Elf Sauen, die in ihrem Leben gelernt haben, in welchem Stall sich beim Nachbarn der Eber befand, suhlten sich an heissen Tagen in den Wasserlöchern.
Ferkel, Jungsauen und ein paar Mastschweine hatten ein feines Leben. Hühner, Enten, Kaninchen und Bienen wurden mitversorgt und später versorgten sie uns. (Eine Hand wäscht die andere.) Ein großer Gemüse-und Blumengarten rundete die Artenvielfalt auf und neben dem Bauernhof ab.
Auf den Ackerflächen wurde auf eine gesunde Fruchtfolge geachtet, denn die Landwirtschaft mußte ohne Spritzmittel funktionieren. Roggen, Hafer, Runkelrüben und Kartoffeln waren ganz früher auf unserem Sandboden die Hauptfrüchte. Ab 1964 kamen Wintergerste und Stoppelrüben hinzu. Die erste Wintergerste wurde mit dem ersten Mähdrescher im Ort gedroschen. Das Korn wurde in Säcke abgefüllt und sehr arbeitsaufwändig zum Kornboden befördert.
So oder ähnlich gab es größere und kleinere Bauernhöfe auf der ganzen Welt. Artenvielfalt auf und um die Höfe war das A & O, Rasenfläche äußerst selten. Die Jahre von 1954 bis 1960 waren zumindest für die Bauern in NRW sieben fette Jahre. Die größenwahnsinnige Massentierhaltung fing bei einigen nimmersatten Funktionären und Bauern schon an!
Ich kann mich noch an den Umbau vom Kuh- und Jungviehstall auf unserem elterlichen Bauernhof im Jahr 1958 erinnern. Die komplette Tenne wurde entkernt und es entstand ein Kuhstall für neun Kühe in Anbindung. Im alten Stall waren die Kälber noch hinter ihren Müttern angebunden gewesen. Jetzt bekam jedes für ein paar Wochen seine eigene Box um anschließend, wenn der Saugtrieb dann meist verflogen war, mit gleichaltrigen Artgenossen in größeren Ställen umher springen zu können. Ab Mai kamen die Kälber, Rinder, Bullen und die Kühe auf ihre jeweiligen Weiden.

Schweinehaltung

Die Sauen konnten wir zu der Zeit noch rauslassen, aber nur in die Schweineweide. Da schaffte es ab und zu eine Sau sich eine Kuhle zu machen, sie mit Gras und Laub auszulegen und ihre 7-10 Ferkel darin zu gebären. Wir nahmen dann ein Ferkel aus dem Nest und rannten um unser Leben mit ihm zum Abferkelstall und die Sau ohne Rücksicht auf Verluste hinter dem quiekenden Ferkel her. Konnten wir die Stalltür hinter der extrem aufgeregten Sau zumachen, hatten wir wieder einmal Glück gehabt und brauchten nur noch die Geschwisterferkel nachholen.
Dann war die 100% artgerechte Haltung für die Sau und ihre Ferkel erst mal vorbei. Aber die Haltung war immer noch deutlich besser als heute. Ein Abferkelstall war früher irgendwie 3 mal 3 Meter oder auch größer und an drei Stallwänden waren in ca. 30cm höhe Rundhölzer als Ferkelretter angeschraubt. Im Alter von circa 3 Wochen bekamen die Ferkel Grasplaggen ( eine Schaufel voll Graspflanzen mit Erde) anstatt der heute verbreiteten Eisenspritze und die tragenden und Muttersauen kamen von April bis Oktober auch nach draußen. Aufgrund der Stallgrösse und der Tatsache, dass die säugenden Sauen tagsüber auf die Weide kamen, war für mich die Artgerechtigkeit der Haltung aber immerhin noch bei achtzig Prozent.
Die heutigen ,,Abferkelställe“ auf Spaltenböden sind in meinen Augen kein bisschen artgerecht. Fast jedes Schwein versucht heute noch, sich vor dem Hinlegen eine kuschelige Kuhle zu machen, aber der Beton- und Plastikboden lassen es nicht zu. Einige unserer Mastschweine haben heute noch das Glück in einem Strohstall leben zu dürfen. Sie wissen eine ordentliche Stroheinlage zu schätzen, dagegen sind die Beton- und Plastikböden ein Straflager.

Die Kiepe war eine aus Holz und Korbgeflecht bestehende Rückentrage, mit der die Kiepenkerle zu Fuß über Land gingen, um ihre Waren zu verkaufen.

Anfangs brachte unser Onkel Hugo die meisten Ferkel mit Pferd und Gummiwagen zu den Abnehmern ins Dorf und einige wurden auch für den Metzger gemästet. Die Hausschlachtungen sorgten für den Eigenbedarf an Schweinefleisch und den Sonntagsbraten gab’s auch. Ein paar mal habe ich noch den Kiepenkerl (siehe Photo) gesehen, wenn er die überzähligen Eier unserer gut 35 Hühner holte. Den meisten des von uns geschleuderten Honigs unserer Bienen holten Leute aus der Umgebung ab, das Pfund für 3 DM.

Damals konnte ich schon nicht verstehen, dass beim Gras mähen mit dem Messerbalken am sechzehner Lanz Bulldog so viele Frösche zu Krüppeln geschnitten werden mussten. Es gab noch keine Doppelmesser, aber das einfache circa 1,20 Meter lange, vom Lanz angetriebene Messer war für die Bauern eine riesige Arbeitserleichterung. Für die Frösche und andere Wiesenbewohner war es der Beginn einer lebensgefährlichen Zeit auf den Wiesen.

Der Autor durfte mit seinen grossen Schwestern zum Melken auf der Weide mitkommen.

Die Kühe wurden im Stall und auf ihren Weiden von Hand gemolken und ihren Wassertrog durften wir Kinder immer wieder voll pumpen. In Alter von etwa 12 Jahren konnten wir bei unseren Eltern Pluspunkte sammeln, wenn wir eine Kuh von Hand melkten und die Schweine, Hühner und das Rindvieh versorgen konnten. Beschäftigung gab es auf unseren 60 Morgen-Hof genug. (60 Morgen hörte sich nach mehr an als 15 Hektar) Mit dem Pferd Asta und Kippkarre dahinter durften wir die Runkelrüben von der Miete holen und sie beim Rübenschneider abkippen. Im Herbst wurden Stoppelrüben gezogen, geholt und an das Rindvieh verfüttert.

Tierpräparation als Zusatzeinnahme

In den Wintermonaten hatte Vater in seiner Tierpräparation genug zu tun. Er zeigte mir, wie man den verendeten oder geschossenen Tieren das Fell über die Ohren zieht und damit kam ich bald gut zurecht. Viele Naturfreunde brachten Tiere zum Präparieren (Ausstopfen). Gefühlt gab es damals das Dreifache an Artenvielfalt im Vergleich zu heute auf und um die Bauernhöfe herum. Heute sind hauptsächlich geschützte Dohlen, Elstern und Krähen unterwegs und die sorgen mit dafür, dass Rebhühner, Fasane, Hasen und Co keine großen Chancen mehr haben.

Vater des Autors mit präpariertem Vogel – eine einträgliche Wintertätigkeit

Um 1965 kam auch schon mal ein geschütztes Tier auf tragische Weise ums Leben. An einem Nachmittag brachte ein Taubenfreund einen Sperber zum Ausstopfen. Zu meinem Vater sagte er, dass der arme Vogel an einer Stromleitung ums Leben kam. Ich fing sofort damit an, dem Sperber das Fell über die Ohren zu ziehen. Dabei rollte mir schon eine 6 Millimeter-Kugel über den Tisch und ich hatte nichts besseres zu tun, als meinem Vater im Beisein des Kunden den Sachverhalt zu erklären. Der Taubenfreund wurde schon verlegen und Vater meinte, dass ich nur den Auftrag hätte, den Sperber abzuziehen, die Todesursache sollte mir gleichgültig sein! Den Taubenfreund konnte ich aber auch gut verstehen, denn der Sperber hatte wahrscheinlich schon viele seiner Tauben erledigt.

Getreideernte

Als ca. zehnjähriger Junge habe ich begriffen wie das Getreide geerntet wurde. Vater schnitt mit seinem Said (kurze Sense) und Haken die Ecken vom Roggenfeld los und die Garben banden meine älteren Schwestern zusammen. Jetzt konnten wir mit unserem 16-er Lanz vor einem Mähbinder das Feld von einer Seite her mähen und binden. Die vom Mähbinder abgelegten Garben stellten meine Schwestern zu Gasten zusammen und mein 358 Tage jüngerer Bruder und ich gaben ebenfalls unser Bestes. Die meisten Getreidegarben wurden nach 10 bis 20 Tagen, je nach Wetterlage, in die Scheune gepackt und der Rest draußen in eine Garbenmiete. Diese machten ein paar Wochen später als erste den Weg durch den Standdrescher.

Getreideernte


Auf jeden Fall waren damals unendlich viele von Gottes Geschöpfen zu sehen und zu hören. Heute gelten in der meist industriellen Landwirtschaft Schwalben und Co. als Ungeziefer, nur dass massenweise zu Weltmarktpreisen produziert werden kann!

Martin Ramschulte, Landwirt in Schöppingen, 2021

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