Das Leben der Pflanzen unter dem Boden

Pflanzen sind cleverer als gedacht: Sie kommunizieren mit Duftstoffen, können aus Erfahrungen lernen und sich erinnern. Sie erkennen ihre Feinde, beschützen Familienangehörige und fällen Entscheidungen – all dies Fähigkeiten, die sie bislang allenfalls in der Märchenwelt hatten. Und im Boden bilden sie mit Pilzen umfangreiche Beziehungsnetze aus, über die sie Nährstoffe und Informationen austauschen.

Praktisch alle Landpflanzen leben unter natürlichen Bedingungen eine Symbiose mit unterirdischen Pilzgeflechten, in so genannten Mykorrhiza-Netzen. Fossilienfunde weisen darauf hin, dass diese Symbiose vermutlich eine Voraussetzung dafür war, dass die Pflanzen vor etwa 500 Millionen Jahren aus dem Wasser ans Land kommen konnten. „Mykorrhiza“ heisst auf griechisch „Pilzwurzel“. Es handelt sich dabei um das aus der Symbiose entstehende Organ – das Produkt aus dem Zusammenspiel von Pflanzenwurzel und Pilzfaden.

Diese Mykorrhizanetze untersucht eine Gruppe um Andres Wiemken an der Universität Basel. Bei einem Besuch zeigt Wiemken auf ein Foto, das vor uns auf dem Tisch liegt. Darauf sind zwei Töpfe abgebildet, in denen je eine Flachs- und eine Hirsepflanze zusammen wachsen. Im rechten Topf ist die Flachspflanze mehr als doppelt so gross wie jene im linken Topf. Auch die Hirse ist ein bisschen grösser. Und dies, obwohl die Pflanzen in beiden Töpfen in gleicher Erde wuchsen und sie gleich viel Wasser und Nährstoffe erhielten. Im Topf rechts aber sind Mykorrhizapilze in der Erde, im anderen Topf gibt es keine. Die Wurzeln der beiden so ganz unterschiedlichen Pflanzen im rechten Topf sind durch ein dichtes Geflecht aus Pilzfäden miteinander verbunden. Die Mykorrhizapilze führen dem Flachs und der Hirse Nährstoffe aus dem Boden zu – vor allem Phosphat, aber auch Stickstoff und andere Mineralstoffe. Die Pflanzen ihrerseits beliefern die Pilze mit Kohlenhydraten, wie zum Beispiel Zucker, die sie mittels Photosynthese produzieren. Mit einer speziellen Methode konnte das Team untersuchen, von wem die Pilzfäden die Kohlenhydrate beziehen: von der Hirse oder vom Flachs? Das überraschende Resultat: Rund achtzig Prozent der Kohlenhydrate in der Pilzbiomasse stammten von der Hirse. Die Hirse füttert also den Flachs, eine mir ihr nicht verwandte Pflanze. Dank dieser Kooperation wird eine Flachspflanze neben einer Hirsepflanze fast doppelt so gross. Die Hirse erhält dank dem Pilzgeflecht ebenfalls Nährstoffe aus dem Boden.

Wiemkes Experiment mit Hirse und Flachs legt nahe, dass Pflanzen in geeigneten Mischkulturen unter dem Boden eine Art dynamischen Marktplatz unterhalten, wo die beteiligten Pflanzen in Netzwerken organisiert sind und wo jede Pflanze mit ihren speziellen Fähigkeiten dazu beiträgt, das Pilznetzwerk zu erhalten. Stickstoff können Bohnengewächse beitragen, die ihn mit Hilfe einer Symbiose mit Bakterien aus der Luft holen und für Pflanzen verwertbar machen. Bei Trockenheit können Pflanzen mit langen Wurzeln – etwa die Lupine oder Bäume und Sträucher – das Wasser aus der Tiefe nach oben holen. Andere Pflanzen wiederum sind besonders gut im Akquirieren von Phosphaten. Dann gibt es Pflanzen wie die Hirse, die bei viel Sonnenlicht besonders effizient Photosynthese betreiben und mehr Kohlenhydrate ins Netz investieren können als andere Pflanzen. Alle tragen mit ihren besonderen Fähigkeiten dazu bei, das Mykorrhizanetz als gemeinsame Infrastruktur für die Nährstoffaufnahme aus dem Boden aufzubauen und zu erhalten.

Auch Informationen können offenbar über das Mykorrhizanetz ausgetauscht werden. Das zeigte ein Forscherteam um Ren Sen Zang von der südchinesischen Universtität In Guangzhou. Zwei Tomatenpflanzen wurden so weit voneinander entfernt gepflanzt, dass die Wurzeln sich nicht berühren konnten, sie aber durch die unterirdischen Mykorrhizanetze miteinander verbunden waren. Dann wurden sie in luftdichte Tüten eingepackt, um zu verhindern, dass die Tomaten mit Duftstoffen kommunzieren konnten. Eine Tomatenpflanze wurde mit Mehltaupilzen infiziert. Fünfundsechzig Stunden später infizierten die Forscher die andere Pflanze und beobachteten, dass diese Pflanze sich besser und schneller gegen den Pilz wappnen konnte. Sie hatte häufiger und schneller Verteididungsgene und –enzyme aktiviert. Die zuerst infizierte Tomate hatte offenbar via Pilzgeflecht im Boden ihre Nachbarin gewarnt. Ren Sen Zang nennt das Mykorrhizanetz das „Internet der Pflanzengemeinschaften. Wie diese Kommunikation funktioniert, weiss man noch nicht.

Auch im Wald sind Bäume über ein riesiges unterirdisches Netz miteinander verknüpft, ein Netz aus Wurzeln und Pilzfäden. Im Fachjargon wird dieses Netz WWW – Wood Wide Web – genannt.

WWW: Mykorrhiza-Netze im Wald

Die Pilzfäden im Wald unterscheiden sich von denjenigen der Krautpflanzen. Sie sind meist grösser und funktionieren auch etwas anders. Doch sie machen im Prinzip das Gleiche: Sie verbinden ganz verschiedene Bäume miteinander, und auch hier werden Nährstoffe, Wasser und Kohlenhydrate ausgetauscht. Zum WWW gehören bekannte Speisepilze wie Steinpilze, Pfifferlinge, Goldröhlinge, Täublinge oder Morcheln sowie viele andere Pilzarten.

Die Waldbäume sorgen auch dafür, dass ihre Nachkommen einen guten Start haben: Alte Douglasien zum Beispiel „füttern“ ihre Sämlinge durch die unterirdischen Pilzfäden mit Kohlenhydraten. So können kleine Douglasien auch an dunklen Orten ohne viel Sonnenlicht gedeihen. Wichtig ist vor allem, dass sie „am Netz“ sind und von der Mutter versorgt werden können. Die Sämline mit dem besten Zugang zu diesen Netzwerken sind am gesündesten. Das ergaben Untersuchungen von Suzanne Simard, Professorin für Waldökologie an der kanadischen Universität von British Columbia. Eine der Folgerungen aus ihrer Untersuchung lautet: Alte Bäume sollten nicht vorschnell aus dem Wald entfernt werden.

Florianne Köchlin

Artikel in “Der Arbeitsmarkt” als pdf.

Interview mit Prof. Andres Wiemken: Treffen der Wege – Pilze, Pflanzen, Landwirtschaft …

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