Auf den Äckern öffnen sich Klimafenster
Fast 30 LandwirtInnen aus den Kantonen Zürich, Schaffhausen, Aargau und Solothurn standen im Herbst 2019 auf der Aussaatliste der Getreidezuüchtung Peter Kunz (gzpk) in Feldbach. Sie alle steckten auf einem ihrer für das Wintergetreide bereiteten Äcker ein kleines Quadrat von 3×3 m aus, ein sogenanntes ‹Fenster›. Ein Zweierteam der gzpk machte sich auf, möglichst zeitgleich zur jeweiligen Aussaat der Winterkultur dieses Fenster von Hand zu besäen – mit einer Vielfalt von 18 Getreidesorten von Weizen, Emmer, Dinkel und Triticale. Pro Sorte wurden jeweils zwei Streifen von je einem Meter Länge nebeneinander gesät. Das Projekt Klimafenster wurde vom gemeinnützigen Verein GenAu Rheinau in Zusammenarbeit mit der gzpk aufgebaut. Die Motivation sind die Förderung robuster und nachbaufähiger Kulturpflanzen aus der Biozüchtung sowie die Sensibilisierung der Teilnehmenden für die Vielfalt an Sorten. Für die gzpk ist der Austausch mit der landwirtschaftlichen Praxis wichtig, um züchterische Fragestellungen weiterzuentwickeln.
Die Sorten für die Zukunft
Mit ändernden klimatischen Verhältnissen wächst das Bedürfnis nach Pflanzen, welche mit unvorhersehbaren Wetterbedingungen zurechtkommen und leistungsfähig bleiben. Beispiele von wetterbedingten Einbussen im Getreide sind eine tiefere Mehlausbeute nach Notreife, ein schlechter Klebergehalt durch Stickstoffmangel in Dürreperioden,
Auswuchs aufgrund verzögerter Erntetermine, Auswinterungsschäden wegen späten Frösten oder erhöhter Schädlingsdruck infolge später und kurzer Winterruhe. In der Züchtung bedeutet dies, den Fokus auf solch klimasensible Merkmale zu richten. Neben geringer Frostanfälligkeit, Stickstoffeffizienz und Schädlingsresistenzen sind dies beispielsweise Eigenschaften wie Blattstellung und -oberflächengrösse sowie deren Behaarung und Bereifung für den Umgang mit Hitzestress. Man spricht von einer Pflanzenarchitektur, welche der Trockenheit besser gewachsen ist, sei das durch tiefe Wurzeln, ein Halm-Blatt-Verhältnis für eine optimale Sogwirkung oder eine gute Bodendeckung, welche die Verdunstung verringert. Die Züchtungsstrategie heisst Anpassungsfähigkeit. Das bedeutet viel Flexibilität einer Sorte unter verschiedenen Bedingungen: Sie soll mit den zunehmenden lokalen klimatischen Unsicherheiten umgehen können, also eher Generalist als Spezialist sein.
Kennst du deine Pflanzen?
In den Klimafenstern entwickelte sich dieses Jahr eine kleinräumige Vielfalt. Die ZüchterInnen stellten ein Set mit eigenen und fremden Sorten und Zuchtlinien zusammen. Darunter waren neben den bekannten Weizen- und Dinkelsorten wie Wiwa, Pizza, CH Nara und Oberkulmer Rotkorn auch noch unbekanntere und neue gzpk-Zuüchtungen wie der frühreife Weizen Prim, die Dinkelsorten Raisa, Edelweisser, Gletscher und Copper, der Wechseldinkel Flauder und der Wechselemmer Sephora (Wechselgetreide kann als Winter- und als Sommergetreide angebaut werden) und die Nischensorte Tripanem, ein Triticale mit guten Backeigenschaften. Die LandwirtInnen waren angehalten, übers Jahr in sieben Wachstumsstadien unter Anleitung der ZüchterInnen analog zur Züchtungsarbeit Beobachtungen anzustellen und zu beurteilen. Dies sind beispielsweise Merkmale der Vitalität, Reifezeit und Krankheitsanfälligkeit. Erst kurz vor der Ernte wurde der Klimafenster-Vorhang gelüftet und die Teilnehmenden erfuhren die Namen der 18 Sorten und Zuchtlinien auf ihrem Acker. So konnten sie während des Wachstums neutral und ohne Vorwissen festhalten, was sich an ihrem Standort gut entwickelte und was ihnen persönlich gefiel, missfiel oder auffiel.
Partizipative Züchtungsformen erneuern
Vor nicht allzu langer Zeit lag die züchterische Arbeit in Form der jährlichen Selektion in der Hand der LandwirtInnen. Standortbedingungen, Hoforganismus und individuelle Züchterblicke beeinflussten die Sortenentwicklung und sorgten für Vielfalt. Heute ist Züchtungsarbeit zum grösstenTeil ausgelagert und professionalisiert. «Mit dem Projekt Klimafenster soll die Verbindung erneuert und beidseitiger Austausch initiiert werden» (gzpk 2020). Das dreijährige Projekt Klimafenster hat die Runde eins hinter sich. In dieser Zeit 2019/20 konnten die Teilnehmenden herausfinden, welche Sorten gut zu ihrem Betrieb passen. Durch die genauen Pflanzenbetrachtungen konnten sie neue Erkenntnisse gewinnen sowie eigene Beziehungen zu den Pflanzen herstellen. Es stellte sich für die gzpk die Herausforderung, den Teilnehmenden genug Informationen zu geben, sodass alle für eine gleiche Pflanzenbeurteilung geeicht sind, und doch selektiert, geerntet und anschliessend von den ZüchterInnen wieder ins Züchtungsprogramm der gzpk zurückgenommen. So kann die Sichtweise aus landwirtschaftlicher Praxis direkt in die Entstehung neuer Sorten integriert werden.
Silja Graf, 2020.
Quelle: Bericht Klimafenster Projektjahr 1, 2019/20, Getreidezüchtung Peter Kunz, August 2020. Informationen zur Teilnahme finden sich auf www.gzpk.ch/klimafenster.
Dieser Text ist bereits in Kultur und Politik 3/2020, Zeitschrift des Bioforum Schweiz erschienen.
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