Produzieren, was man selber gern isst

Auf dem Hof Arc-en-ciel im Waadtland sind Lebens- und Landwirtschaftsphilosophie eng verbunden

Cédric und Christine Chézeaux haben 2005 gemeinsam den Hof seiner Eltern übernommen: einen grossen Milchviehbetrieb mit 50 ha Land, 50 Hochleistungsmilchkühen und Bullenmast. Zwei Jahre haben sie den Hof so weitergeführt, bis ihnen mit der Geburt ihres vierten Kindes bewusst wurde, dass es eine Veränderung brauchte. „Bei den Kindern achteten wir auf natürliche Ernährung und gute Energien, behandelten sie mit Naturheilmitteln, wenn sie krank waren, und strichen unsere Wände im Haus mit natürlichen Farben. Doch auf dem Hof folgten wir dem Leistungsgedanken und waren dem Diktat des Milchmarktes unterworfen.“ Die Wahrnehmung dieses Widerspruchs war der Beginn eines grossen Umbaus vom spezialisierten Milchviehbetrieb hin zur vielfältigen Ferme Arc-en-ciel (Regenbogen-Hof), wie er heute besteht.

Umstellung auf bio und mehr

„Die echte Revolution ist die, die uns dazu bringt, uns selber zu verändern, um die Welt zu verändern“, sagt Pierre Rabhi. Es war eine Begegnung mit diesem Philosophen und Agrarökologen, die Cédric dazu brachte, sich für die Umstellung auf Biolandbau zu entscheiden. Darüber kam er in Kontakt und Austausch mit anderen Biobauern. „Ich entdeckte neue Geschmacksqualitäten und bekam grosse Lust, gute Produkte, die mir selber schmecken, zu erzeugen und zu vermarkten.“ Und so blieb es nicht bei der Umstellung der Milchviehhaltung auf Bio.
Im Jahr 2009 ging Cédric zu Marc Haller, einem Bäcker drei Dörfer weiter, der seit zwei Jahren Sauerteigbrot aus regionalem Mehl backt. Er fragte ihn: „Was brauchst du für Getreide? Was brauchst du für Mehl? Ich kann mir vorstellen, verschiedenste Getreidesorten anzubauen.“ Der Funken zwischen den beiden Männern zündete. Cédric besorgte Saatgut und säte im Herbst auf einer halben Hektare Brotgetreide aus. Er bestellte auf Empfehlung von Marc Haller eine Astrier-Mühle in Frankreich und wurde damit paysan meunier, Müllerbauer.

Die Getreidemühle Astrié wurde in Frankreich entwickelt, um es Höfen zu ermöglichen, ihr Getreide selbst zu mahlen und allenfalls auch zu verbacken. Kleine Höfe sollten so mehr Wertschöpfung auf dem Hof halten können. Die Natursteinmühle zeichnet sich durch eine zehntelmillimetergenaue Einstellung der Mühlsteine aus. Ein Mahl- und Siebvorgang reicht aus, um ein sehr feines Mehl zu bekommen, das offenbar neben nur sehr wenig Kleie fast alle inneren Bestandteile des Korns, auch den Keim enthält. Dies ist nach Angaben der Hersteller möglich, weil das Mehl durch die rasche Verarbeitung weder lange Sauerstoff noch grosser Hitze ausgesetzt ist. Es wird also auch mit höherem Fettanteil nicht schnell ranzig. Es soll besonders nahrhaft und geschmackvoll sein. Mit einem Ausmahlungsgrad von 80% kann die 50cm breite Mühle Astréia 12 kg Mehl/Stunde herstellen.

Im Sommer 2010 gab es die erste Ernte von vier verschiedenen Getreidesorten auf Flächen zwischen 4 und 4000 m². Marc und Cédric schauten: Welches Getreide ist gut gewachsen, welches weniger gut? Welches gibt ein feines Mehl und welches auch wohlschmeckendes Brot? „Wir folgten teilweise einfach unserem Gefühl: welches Getreide gefällt uns gut.“
In den folgenden Jahren wurden weitere Sorten ausprobiert. Eine Mischung aus fünf Weizensorten war als Brot geschmacklich sehr fein, hatte aber als Kultur Probleme mit dem Pilz Stinkbrand. Cédric begann, das Saatgut jedes Mal testen zu lassen, und verwendete bei der Aussaat nur solches, das die Pilze nachgewiesenermassen nicht hatte. Er versuchte Senfmehl als Schutz unter das Saatgut zu mischen. Mit Erfolg.
Eine wichtige Mischung aus acht alten, regionalen Weizensorten sind „Les 8 blés heureux“ (auch eine Anspielung auf Vater, Mutter und die sechs Kinder der Familie Chézeaux). Sie sind Grundlage des gleichnamigen Brotes von Marc Haller. Doch auch neue von Peter Kunz vermehrte Weizensorten sowie Dinkel, Einkorn und Emmer wachsen auf den Feldern der Ferme Arc-en-Ciel.
Zwischen 30 und 60 Sorten sät Cédric jedes Jahr zum Ausprobieren und Erhalten auf 4m2 kleinen Parzellen aus.

Milchkühe Adé
Im Jahr 2013 verliessen die Milchkühe den Hof – kein leichter Schritt. Cédric hatte seine Vision und war voller Entschlossenheit. Doch seine Frau Christine machte sich Sorgen um die finanzielle Grundlage der Familie. Sohn Marius war traurig, dass er sich von den vertrauten Kühen und insbesondere seiner eigenen verabschieden musste. Cédrics Vater Nicola erlebte die Abschaffung der Kühe wie die Auflösung seines Lebenswerkes. Jahrzehntelang hatte er die Herde aufgebaut und sich bereits vorgestellt, wie er die Tiere im Pensionsalter weiterbetreut. Er weiss noch gut, wie mühsam die Arbeit mit dem Pferd auf dem Acker und das Jäten per Hand in seiner Jugend gewesen waren. Was wird aus der Familie, wenn das sichere Einkommen Milchgeld wegfällt?
Das Getreide wird gesät, wächst heran, wird neun Monate später geerntet. Anschliessend muss es sechs Monate lagern. Erst dann kann es gemahlen und nach und nach direkt vermarktet werden. Doch die Kosten für Betrieb und Lebenshaltung sind da. Phasenweise war es nicht sehr gut um die Liquidität bestellt. Die Tatsache, dass der Betrieb aufgrund seiner Lage in der Bergzone, mit seiner Vielfalt, dem biologischen Landbau und der Art der Tierhaltung prämienoptimal ist, hat geholfen. Auch der eher einfache Lebensstil der Familie liess es zu, „den Gürtel für einige Monate enger zu schnallen“. Heute macht das Getreide etwa 45% des Hofeinkommens aus. Ein kleinerer Teil hiervon kommt aus Geld, das Chézeaux für Lagerung, Reinigung und Mahlen von Getreide anderer Bauern erhält. Mit sieben Bauern in der Region hat er zudem Anbauverträge für Getreide, das er über den eigenen Hof verarbeitet und vermarktet. 90 der 100 Tonnen Mehl wurden 2018 direkt ab Hof verkauft.

Milch und Fleisch
Chézeaux‘ schafften Milchziegen der Rasse Chamoisiée alpine an, die im alten umgebauten Milchvieh-Laufstall untergebracht sind. „Es gehört zum Konzept, dass möglichst viele Pflanzen und damit Kalorien auf dem Hof produziert werden. Doch für einen ausbalancierten, fruchtbaren Boden braucht es neben pflanzlichem Stickstoff auch Mistkompost als Dünger und damit Tiere.“
Anfangs nahmen sie die Gitzis direkt nach der Geburt weg. Heute dürfen sie einen Monat mit den Muttertieren mitlaufen. Weil ihnen das Töten der männlichen Tiere in sehr jungem Alter widerstrebt und Gitzifleisch zudem schwer zu vermarkten ist, versuchen Chézeaux aktuell, bei einigen Geissen die Laktationszeit auf zwei Jahre zu verlängern . Dies hat zusätzlich den Vorteil, dass die Gesamt-Milchmenge das Jahr hindurch konstanter ist. Die Milch wird in der kleinen, schlicht eingerichteten Hofmolkerei zu elf verschiedenen Käsesorten verarbeitet; von 50 Milchgeissen sind es pro Tag zwischen 50 und 100 Litern Milch. Jetzt im dritten Jahr läuft es richtig rund und der Käse kann sehr gut verkauft werden.
Ausserdem leben zehn Mutterkühe mit ihren Kälbern auf dem Hof. Fleischpakete à 7 kg sowie Trockenfleisch und Würste werden direkt vermarktet. Acht bis zehn Freilandschweine verwerten die Schotte (Molke) aus der Käserei und die Getreidereste aus den Mühlen; ihr Fleisch wird vor allem in Form von Spezialitäten verkauft. Sohn Marius versorgt ausserdem 25 Hühner, deren Eier zweimal die Woche mit den anderen Hofprodukten auf dem Markt verkauft werden. Mittwochs und samstags ist das „Magasin Arc-en-ciel“ direkt neben Mühle und Käserei geöffnet. Cédrics Vater Nicola ist neben dem Mahlen des Getreides auch zuständig für den Verkauf im Hofladen.

Alte Getreidesorten
Hier gibt es alte und neue Getreidesorten, Mischungen und neben Mehl auch Körner. Die Kunden schätzen Vielfalt, Geschmack und gute Verträglichkeit des Mehls. Dinkel, Einkorn, Emmer, Urdinkel, Weizen, Roggen, Buchweizen und Hirse sowie Linsen und Leindotteröl aus Leindotter von den eigenen Feldern werden verkauft.
Warum sind die alten Getreidesorten interessant im Anbau? „Sie sind genügsamer, brauchen weniger Dünger, wachsen langsamer und machen mehr Biomasse. Sie kommen gut mit unseren steinigen Böden mit dünner Humusschicht und schlechter Wasserhaltefähigkeit zurecht. Es stimmt, sie haben weniger Ertrag, ich säe sie weniger dicht und ernte sie später, aber dafür kann ich sie deutlich teurer verkaufen.“ Bio-Einkorn oder Bio-Emmer bringen 1.500 kg/ha. Im Hofladen zahlen die Kunden je nach Verpackungseinheit zwischen 5 und 6 Franken/kg. Es ist ein Projekt „Solidarischer Landwirtschaft“, mehrere Bäcker und einige Läden erhalten Mehl und die anderen Produkte der Ferme Arc-en-ciel. Das meiste Mehl wird aber direkt ab Hof verkauft. Die Nachfrage ist grösser als das Angebot. Das Bedürfnis der Leute nach anderen Getreide-, Mehl- und Brotqualitäten ist da, wegen Lebensmittelunverträglichkeiten und -allergien und wegen der Suche nach „echten Lebensmitteln“.

Autonom schaffen und lernen
Neben der Produktevielfalt für Hofladen und Marktstand sind auch geschlossene Kreisläufe auf dem Hof ein wichtiges Ziel. Die Geissen fressen das beste Gras, die Kühe kümmern sich um den Rest, der bleibt. Sie sind genügsamer und erhalten zusätzlich nur noch Heu und Heu-Kleiemischungen. Die Kleie (v.a. Samenschale), die als Nebenprodukt des Mahlprozesses anfällt, wird auch von Geissen und Schweinen gerne gefressen.
Der Mist der Tiere wird kompostiert und führt dem Boden Nährstoffe zu. Die alten Getreidesorten brauchen weniger Nährstoffe; sie bilden besonders viel Wurzelmasse und geben dem Boden nach der Ernte viel zurück. Der Leindotter bereichert Fruchtfolge und Produktpalette im Verkauf gleichermassen. „Ausserdem sind wir überzeugt, dass es den Boden liebevoll zu pflegen gilt, damit er fruchtbar und gesund ist und mit Klimawandel und Luftverschmutzung besser umgehen kann.“ Bei zu viel Blacke sät Cédric Luzerne und Buchweizen ein und gibt guten Kompost in die Erde. Wenn die Balance im Boden wieder hergestellt sei, dann könne die Blacke verschwinden.
Der Hof dient auch als reiches Erfahrungsfeld für die sechs Kinder der Familie, die viel mit anpacken.
So hat der 14-jährige Marius im letzten Jahr 2 ha Land selbständig bewirtschaftet – Vater Cédric stand nur für Fragen bereit. In Excel-Tabellen berechnete der Junge die Saatgutmengen für den Anbau von Kartoffeln und Dinkel, besorgte Feldvorbereitung, Pflege, Ernte – alles selbständig. Diese Erfahrung bot ihm vielfältige Lernmöglichkeiten und einen Schritt in die grössere Selbständigkeit.
Mutter Christine unterrichtet die drei jüngeren Kinder (9-14) zu Hause in Französisch, Mathematik und Fremdsprachen Englisch und Deutsch . Andere Themen erarbeiten sie gemeinsam und die Kinder vertiefen sich selbständig in Bereiche, die sie interessieren. „Wir möchten, dass sie für sich selber lernen und nicht für die Schule oder uns oder weil sie besser als die anderen sein wollen.“ Die Kinder werden auch ermutigt, sich im Dorf Leute zu suchen, von denen sie etwas lernen möchten. Sie bekommen Privatstunden, um Musikinstrumente oder künstlerisches Arbeiten zu lernen.
Amélie (18) ist bereits fertig mit der home school und bereitet sich auf die Aufnahmeprüfung an einer Gartenbau- und Landschaftsplanung-Schule vor. Sie hat das Logo des Hofes sowie diverse Zeichnungen für die Internetseite des Hofes angefertigt.
Sohn Manuel arbeitet nach seiner Lehre gegenwärtig Teilzeit mit. Ein Vollzeitmitarbeiter für Tierversorgung und etwas Feldarbeit, zwei Teilzeitkräfte für Verwaltung des Betriebes und Getreideabfüllung, zusätzlich der Vater, der in Mühle und Hofladen eine wichtige Rolle innehat, Christine, die die Buchhaltung und die Bearbeitung der Online-Bestellungen macht und mit drei Kindern abwechselnd auf den Markt geht – der Hof beinhaltet mit seiner grossen Vielfalt viel Arbeit. Cédric macht die Käserei im Wesentlichen alleine, koordiniert den Ackerbau und kümmert sich um die Infrastruktur; er kennt sich in allen Bereichen aus und plant – gemeinsam mit den anderen Hofmitgliedern – mögliche Weiterentwicklungen des Betriebes voraus.

In Strukturen investieren
Die Kehrseite der neuen Vielfalt des Hofes, mit Produktketten von Anfang bis Ende und viel Befriedigung und Wertschätzung, ist eine Menge Arbeit. Doch Christine ist optimistisch, dass es ihnen als Familie gelingen wird, zukünftig mehr Mussezeiten zu haben. Sie müssten darauf achten, dass der Hof de taille humaine – also überschaubar gross bleibe. Zusätzlich möchte die gelernte Krankenschwester Schritt für Schritt eine Praxis für „Energiearbeit“ aufbauen.
Für Cédric ist es ausserdem wichtig, sich nach acht Jahren des Engagements bei Bio Waadt, Mitgliederorganisation von BioSuisse, und der Öffentlichkeitsarbeit rund um den Film „La révolution silencieuse“ mehr der bio-dynamischen Ausrichtung des Betriebes zu widmen. Er möchte Räumlichkeiten herrichten, um die Präparate wetterunabhängig vorbereiten zu können. Eine neue grosse Lagerhalle soll die Verarbeitung des Getreides arbeitseffizienter machen. Das Gebäude, in dem sich aktuell schon Mühle, Hofladen und Käserei befinden, wird renoviert und ausgebaut. Im Obergeschoss sollen ein Appartement und ein Gruppenraum entstehen, um Gruppen und interessierte Einzelpersonen zur Erfahrungsweitergabe zu empfangen.
Arbeitserleichterung, Ausbau und auch Vorbereitung auf Möglichkeiten, den Betrieb zukünftig von mehr Menschen tragen und beleben zu lassen. Das klingt erstmal nicht nach mehr Ruhe, doch erstaunlicherweise strahlen Christine undChezeaux_ Cédric beide eine solche Lebendigkeit und Authentizität aus, dass man es ihnen abnimmt, dass es innerhalb der nächsten Jahre Raum für mehr Musse geben wird, oder wie Christine es ausdrückt: „Nicht immer nur tun, sondern auch wieder mehr sein.“

Text auch erschienen als Artikel in Kultur und Politik 2/2019, pdf Artikel

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Ferme Arc-en-ciel
Bio-Gemischtbetrieb im Kanton Waadt, bei Yverdon
Cédric und Christine Chézeaux
Ein Mitarbeiter in Vollzeit (Tiere und mehr), zwei Mitarbeiter in Teilzeit für Verwaltungsaufgaben und das Abfüllen von Getreide und Mehl. Mitarbeitende Familienmitglieder
51 ha
20 ha
Bio-Suisse
Alte Getreidesorten - Mühle - Geissen - Mutterkühe - Schweine - Hofladen
Einkorn, Emmer, Dinkel, Roggen, alte Weizensorten,
moderne Weizensorten und Buchweizen, Hirse
Linsen, Leindotter für Öl
50 Milchgeissen und Nachzucht
10 Mutterkühe, 8-10 Schweine
25 Hühner
840 m ü. M.
Vermarktung via Hofladen, Wochenmarkt in Yverdon,
einige Läden und Internet

Getreidemühle, Verarbeitung von Getreide im Lohn
Anbauverträge mit sieben Bauern für den Anbau von Getreide
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Cédric auf einer Fläche mit acht Weizensorten, den "huit blés heureux"
Die Milch der 50 Geissen wird auf dem Hof verkäst
11 verschiedene Käsesorten macht Cédric in der Hofkäserei
Am Familientisch wird viel besprochen
Coverbild des Films „La révolution silencieuse“ über den Wandel des Hofes - lief 2017 in vielen Kinos der Romandie
Das Mehl aus der Astrié-Mühle ist je nach Siebeinsatz sehr fein
Die Astrié-Mühle für das Mahlen von Mehl direkt auf dem Hof macht ein Mehl, das den Keim enthält
Vater Nikola betreut Hofladen und Mühle
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