Biodiversität ist die Grundlage für Terroirqualität

Aufgrund der unverkennbaren Zeichen, dass selbst auf renommierten Weinlagen die Aromenqualität der Trauben abnimmt und zugleich die Krankheitsanfälligkeit der Reben nach stets neuen Pestiziden ruft, hat ein Prozess des Umdenkens im Weinbau begonnen. Winzer in vielen Weinbauregionen Europas beginnen die traditionellen Gewohnheiten des derzeitigen Weinbaus zu hinterfragen, die ökologischen Zusammenhänge ihres Metiers wiederzuentdecken und sich auf die natürlichen Grundlagen der Terroirqualität ihrer Weine zu besinnen.

Das zentrale Prinzip der neuen Methoden qualitätsorientierten Weinbaus basiert auf der gezielten Förderung der Biodiversität. Dies jedoch erklärt sich nur indirekt aus der eher ästhetischen Vorgabe nach duftenden Blumen im Weinberg, sondern vor allem daraus, dass der Weinberg als ein Ökosystem begriffen wird, dessen flexible Balance erst durch die komplexe Vernetzung der hohen biologischen Vielfalt entsteht. Die Anwesenheit zahlreicher Schmetterlingsarten, Käfer, Wildbienen und Vögel gilt daher auch nur als sichtbarstes Zeichen dafür, dass das Gesamtsystem wieder in ein Gleichgewicht findet. Denn die Grundlage für ein stabiles Ökosystem im Weinbau wird durch die biologische Aktivierung des Bodenlebens gelegt. Die Biodiversität des Bodens ist der entscheidende Faktor für die Entfaltung des Terroirs und die Widerstandsfähigkeit der Rebe.

Das Bodenleben als Grundlage

Die Rebe ist keine Maschine, die NPK-Dünger in Traubensaft wandelt und dabei noch einige Spurenelemente aus totem Gestein zieht, sondern ein lebender Organismus, der sich nur in Symbiose mit zahlreichen anderen Organismen entfalten und behaupten kann. Die Energie, die eine Rebpflanze durch Photosynthese gewinnt, wird nicht nur für das Wachstum von Blättern, Früchten, Zweigen und Wurzeln aufgewendet, sondern zu etwa 30% für die Produktion von Wurzelexsudaten.

Mit diesen Wurzelexudaten versorgt eine ausgewachsene Rebe in gesundem Boden bis zu 5 Billionen Mikroorganismen (mehr als 50.000 Arten, vor allem Bakterien, Pilze, Protozoen, Nematoden), von denen sie im Tausch gegen Kohlenhydrate wichtige mineralische Nährstoffe, Wasser und Schutz vor Parasiten erhält. Wird dieses komplexe, höchst artenreiche Netzwerk von Mikroorganismen in der Rhizosphäre der Pflanzen durch Herbizide, Pestizide, Mineraldünger und ungeeignete Bodenbearbeitung zerstört oder nachhaltig geschwächt, gerät das gesamte biologische System der Rebe ins Ungleichgewicht. Die Folgen sind erhöhte Anfälligkeit gegenüber Parasiten und Pathogenen (z.B. Nematoden und Mehltau), geringere Widerstandsfähigkeit gegenüber Umwelteinflüssen (insbesondere Wasserstress und Karenzen), sinkende Lebenserwartung (die durchschnittliche Lebenserwartung einer Rebe beträgt 100 Jahre!) sowie Verlust der aromatischen Vielfalt des Weines.

Charakteristische Terroirweine können nur dann entstehen, wenn den Rebwurzeln die symbiotische Vernetzung mit der vielfältigen Bodenfauna erhalten bleibt, so dass die Rebe sich ihr Nährstoffsystem und ihre Nährstoffvielfalt optimal organisieren kann.

Die Vielfalt der Pflanzen fördert die Vielfalt der Bodenorganismen. In Mythopia ist es bereits lange vor dem Austrieb der Reben grün und blütenreich. (Patrick Rey, Mythopia)

Die Rebe herrscht über die Mikrofauna ihrer Rhizosphäre wie über einen Kleinstaat. Damit sich dieser Kleinstaat jedoch herausbilden kann, müssen im gesamten Bodensystem die Voraussetzungen für einen stabilen Nährstoffzyklus gegeben sein. Regenwürmer, Arthropoden, Bakterien und Pilze brauchen zu ihrer Ernährung einen stetigen Nachschub organischer Materie (Blätter, Halme, Zweige, Äste, Wurzeln, Knochen, Exkremente, Fleisch, Exudate), die sie zersetzen, speichern und im Boden verteilen. Wo diese Nahrungsgrundlage fehlt, weil der Boden blank gespritzt, gepflügt, gebürstet, verdichtet und/oder abgewaschen ist, beginnt der Motor des Bodenlebens zu stottern.
Um die Bodenaktivität zu fördern, braucht es eine Vielfalt verschiedener Pflanzen, deren je unterschiedliche Inhaltsstoffe und Lebenszyklen den Boden das ganze Jahr über mit Nährstoffen versorgen und stimulieren. Aus diesem Grund sind neben der Hauptkulturpflanze (Rebe) zahlreiche Begleitpflanzen nötig, die nicht nur den Boden bedecken und oberflächlich schützen, sondern folgende weitere Funktionen ausüben:

  • Humusaufbau
  • Nährstoffverteilung sowie Bodendurchlüftung und Erosionsschutz durch Wurzeln, die in sämtliche Bodenhorizonte reichen
  • Speicherung mineralischer Nährstoffe durch Symbiosen mit Bakterien und Mykorrhizen; Produktion pflanzenverfügbarer Düngemittel (vor allem Stickstoff und Phosphor)
  • Produktion wichtiger sekundärer Pflanzenstoffe für ausgewogene Bodengesundheit
  • Erhöhung des Wasserspeichervermögens
  • Abbau und Adsorption toxischer Bodenstoffe
  • Förderung der Insektenvielfalt durch Blüten und Blätter
Die Vielfalt der Begrünungsmischung ist Grundlage ihrer Funktionalität. Weinbergbegrünung zum Zeitpunkt des Austriebs. (Patrick Rey, Mythopia)

Entsprechend dieser Kriterien wurden am Ithaka Institut verschiedene Saatmischungen je nach Bodentyp und Klima zusammengestellt und seit 7 Jahren in verschiedenen Weinbergen hinsichtlich ihrer Wirkungen auf Rebe, Wein und Ökosystem getestet. Die Saatmischungen sind aus je 40 bis 50 verschiedenen Pflanzenarten zusammengesetzt, wobei der jeweilige Hauptanteil aus Leguminosen verschiedener Wurzeltiefe und Wuchskraft besteht (Luzerne, Rotklee, Esparsette, Hornklee, Hopfenklee, Wicke, Platterbse). Detaillierte Informationen zu den Begrünungsmischungen finden Sie auf der Beratungsseite des Ithaka-Institut.

Stabilisierung des Ökosystems durch Pflanzen und Insektenvielfalt

Gleichwohl die Biodiversitätsförderung mit der Reaktivierung der Böden beginnt (90% aller Tierarten leben im Boden, und in einem Gramm gesunden Bodens gibt es bis zu 1 Milliarde Mikroorganismen bei bis zu 60 000 Arten), besteht das Bodenleben natürlich nicht losgelöst von der sichtbaren Lebensvielfalt oberhalb des Bodens.
Pflanzen sind das Bindeglied zwischen den Habitaten unter und über der Erdoberfläche. Damit sie diese verbindende Funktion wirksam und nachhaltig ausüben können, knüpfen sie ebenso wie im dunklen Wurzelreich auch im Licht vielfältige Partnerschaften mit ihrer natürlichen Umgebung. So wie sie zur Bestäubung die Hilfe von Wind oder Insekten benötigen, brauchen sie zur Verteidigung gegen ihre natürlichen Feinde die Partnerschaften mit Nützlingen. Je größer die Pflanzenvielfalt ist, desto größer ist auch die Vielfalt der angelockten Insekten, Vögel, Reptilien usw., die sich durch Konkurrenz gegenseitig regulieren. Wird jedoch wie im Falle von Monokulturen die pflanzliche Vielfalt zerstört, findet zugleich eine Negativselektion von Bakterien, Pilzen, Insekten usw. statt. In Monokulturen finden nur diejenigen Tierarten noch ihren Lebensraum, die auf der einen verbliebenen Kulturpflanze ihre Nahrungsgrundlage finden. Da ihre natürlichen Feinde aufgrund der einseitige Förderung der Kulturpflanze keine Lebensgrundlage mehr haben, können sich die wenigen, an die Monokultur angepassten Tierarten ungehindert vermehren und sich erst dadurch tatsächlich zu Schädlingen und zur Massenplage auswachsen. Pestizid- und Insektizidspritzungen helfen nur kurzfristig, da sie die Negativselektion noch verstärken, so dass immer neue und höher dosierte Mittel eingesetzt werden müssen.

Weitere Maßnahmen zur Biodiversifizierung im Weinberg

Durch hohe Biodiversität im Weinberg wird nicht nur der Schädlingsbefall infolge von Förderung natürlicher Antagonisten eingedämmt, sondern auch die Eigenabwehr der Reben gestärkt. Neben Einsaat und Pflege artenvielfältiger Begrünung zwischen den Reben umfasst die Charta für Biodiversität im Weinberg folgende weitere Maßnahmen:

  • Anpflanzung von Sträuchern an den jeweiligen Zeilenenden, wo sie die Arbeitsabläufe kaum beeinträchtigen. Kriterien für die Auswahl der Straucharten sind ihre Anziehungskraft für Schmetterlinge und andere Insekten, Nistplatzmöglichkeiten, Wurzelsymbiosen, Nutzung der Früchte. Es werden bevorzugt einheimische Arten eingesetzt.
  • Pflanzung von Hecken als Zwischenlinie in den Reben. Je nach lokalen Gegebenheiten mindestens 2 x 20m geschlossene Hecken pro Hektar. Hecken gelten als biologische Hotspots und eignen sich als Korridore zur Vernetzung ökologischer Flächen. Als natürliches Hindernis bremsen sie die Ausbreitung von Schadpilzen.
  • Pflanzung von Obstbäumen zur Aufbesserung der vertikalen Diversität. Bäume inmitten einer niederwüchsigen und kaum strukturierten Kulturfläche haben sowohl für Vögel als auch Insekten und andere Tiergruppen eine enorm hohe Anziehungskraft und fördern dauerhaft die Wiederbesiedlung des ökologischen Habitats. Zudem fungieren solche einzeln in den Luftplankton ragende Bäume geradezu als Sporenfänger, von wo aus sich Hefen und andere Pilze im Weinberg ausbreiten können (Vielfalt natürlicher Hefen, Konkurrenz für Schadpilze). Pro Hektar sollte mindestens ein Baum inmitten der Reben und mehrere kleinere an günstigen NE-NW Rändern gepflanzt werden. Von keiner Stelle im Weinberg sollte der Abstand zum nächstgelegenen Baum mehr als 50m betragen. Ein möglicher Minderertag an Trauben wird durch das geerntete Obst deutlich ausgeglichen.
  • Anlage artenreicher Ausgleichsflächen von mindestens 50 m2 pro Hektar als Diversitäts-Hotspots sowohl innerhalb als auch an den Rändern der Rebparzellen, wo Aromakräuter und Wildblumen wachsen.
  • Einrichtung von Strukturelementen wie Stein- und Holzhaufen für Reptilien und Insekten. Installation von Nisthilfen für Wildbienen, Insekten, Vögel. Die Nisthilfen können in die Pfosten der Palisage integriert werden. Sitzstangen für Raubvögel zur Reduktion von Nagetieren.
  • Anstatt alte Weinberge zu roden und komplett neu zu bepflanzen, werden überalterte Weinstöcke jeweils einzeln ersetzt, wobei die Jungpflanzen durch massale Selektion (Feldselektion) aus dem Weinberg selbst ausgewählt und auf angepasste Wurzelunterlagen direkt vor Ort gepfropft werden. Auf diese Weise wird über mehrere Generationen eine perfekt an das Terroir angepasste Sortenwahl vorgenommen. Die damit erzielte genetische Vielfalt verringert den Infektionsdruck durch Schädlinge, die Weinqualität steigt und auch die Widerstandsfähigkeit gegenüber den herrschenden Bedingungen nimmt zu.

Ökonomische Vorteile der Biodiversität

Bei intelligentem Einsatz der Ressourcen und Stoffströme können Weinbau und Landwirtschaft, ohne an Produktivität zu verlieren, einen entscheidenden Beitrag zum Schutz von Umwelt, Klima und Biodiversität leisten. Als das selbst für Laien sichtbarste Zeichen, dass sich das Ökosystem Weinberg wieder zu harmonisieren beginnt, gilt die Anzahl an Schmetterlingsarten. Während vor 8 Jahren, als die Weinberge des Ithaka Institutes in der oben beschriebenen Weise umgestellt wurden, lediglich 2 Schmetterlingsarten zu finden waren, wurden 2010 bereits über 60 Arten gezählt. Für die Winzer mögen allerdings zunächst folgende Argumente wichtiger zu sein:

  • Die Krankheitsresistenz der Reben hat sich in den letzten 8 Jahren deutlich verbessert, so dass nicht nur auf den Einsatz chemischer Pflanzenschutzmittel, sondern vermehrt auch auf die biologisch zugelassenen Pestizide wie Schwefel und Kupfer verzichtet werden kann.
  • Obwohl keine Düngemittel und Herbizide mehr ausgebracht wurden, hat sich die Wuchskraft der Reben auf hohem Niveau stabilisiert.
  • Höhere Aromenvielfalt und Finesse der Weine wurde bei Verkostungen bestätigt.
  • Die Kosten für den etwas höheren Arbeitsaufwand werden durch Einsparungen für Dünge- und Pflanzenschutzmittel ausgeglichen (Kosten für Pflanzenschutzmittel und Dünger: 150 Eur / ha).
  • Die Motivation der Arbeiter, in einem solchen Weinberg in Biodiversität tätig zu sein, steigert ihre Effizienz und Verantwortlichkeit.
  • Die ästhetische und ökologische Qualität der Weinberge lässt sich beim Kunden als gewichtiges Marketingargument geltend machen.

Und schließlich entdeckt der Winzer wieder den Stolz seines Metiers, in Partnerschaft mit der Natur überwältigende natürliche Terroirweine zu kreieren.

Hans-Peter Schmidt, Mythopia, Wallis, CH, 2013

Dies ist ein Auszug aus dem Text: Terroirwein und Biodiversität, 2010, ISSN 1663-0521. Den gesamten Text finden sie hier.
Kontakt zu Hans-Peter Schmidt: www.mythopia.ch

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