Trockenstellen mit Wildiheu und selektiver Fütterung

Ein erfahrener Landwirt gibt folgenden Tipp zum Trockenstellen:

Eine simple Möglichkeit, laktierende Tiere trocken oder galt zu stellen, besteht in der Praxis des temporären Minimierens des Futters und insbesondere des Wassers. Wir fahren die Wasserverfügbarkeit innert 5 Tagen auf 1.5 Liter/100 kg zurück, bei gleichzeitigem Vermindern der Proteine (APD) und Kohlenhydrate (NEL). Das heisst, anfangs nur noch Heu füttern (kein Emd oder Getreide), später mit Stroh mischen und bei Kühen schliesslich nur noch Stroh füttern. Am 5. Tag noch morgens letztmals melken. (Am Vormittag letztmals gemolkene Tiere gebären angeblich vorwiegend tagsüber). Bei frisch trockengestellten Wiederkäuern auf geschwollene Sprunggelenke achten: könnte auf Euterprobleme hinweisen.

Markus Lanfranchi, BioEtico, Verdabbio, GR

Die Umsetzung dieses alten und bewährten Tipps ist in modernen Haltungssystemen jedoch nicht ganz einfach. Viele Landwirt*innen halten ihre Tiere in Laufställen – eine Einschränkung der Wasserzufuhr ist so kaum möglich. Auch eine auf die Leistung abgestimmte Fütterung jedes einzelnen Tieres ist schwierig, wenn man keine Gruppen bilden kann.

Es gibt jedoch Möglichkeiten, auch in einfachen Ein-Gruppen-Laufställen die Fütterung differenziert zu gestalten. Natürlich bringen alle Varianten einen Mehraufwand mit sich. Jeder Betriebsleiter und jede Betriebsleiterin muss für sich selber entscheiden, ob sich dieser Aufwand lohnt. Im Folgenden möchte ich kurz schildern, wie wir auf dem Betrieb meiner Eltern dieses Problem lösen.

Separate Fütterung am Fressgitter – Schritt für Schritt

Auf meinem elterlichen Betrieb werden alle Tiere gealpt. Da wir mit saisonaler Abkalbung arbeiten, sind bis zum Alpaufzug alle Kälber entweder geschlachtet oder – im Falle der Aufzucht – abgesetzt. Folglich müssen alle Tiere bis zum Alpaufzug galt sein. Die Kühe, die galt gehen sollen oder schon galt sind, erhalten am Fressgitter nur noch Mager-/Wildi-Heu. Damit wir die noch laktierenden Kühe trotzdem gut füttern können, ist es wichtig, jeder Kuh einen bestimmten Platz im Fressgitter zuweisen zu können. Das funktioniert folgendermassen:

  1. Am Tag erhalten die Tiere Magerheu ad libitum. Bis zur nächsten Fütterung ist dieses weitgehend gefressen, und die Kühe haben Lust auf besseres Futter.
  2. Zu Beginn der abendlichen Stallarbeit schliessen wir das Fressgitter. In Ruhe kann nun die Barnebutzete (Futtereste) zur Seite geräumt werden.
  3. Mit einer Gabel voll gutem Futter bewaffnet, wird das Fressgitter platzweise geöffnet. Immer nur eine Kuh darf gleichzeitig zum Fressen – jeweils diejenige, der dieser Platz zugeteilt ist. Eine Gabel Silage reicht meist vollständig. Oft genügt es, die Gabel vor das Fressgitter zu halten. Ist die Kuh drin, geht man zum nächsten Platz.
  4. Wir nutzen die normale Gruppendynamik der Kühe: ranghohe Tiere warten bereits vor dem Fressgitter, während die Rangniederen im Hintergrund bleiben. So können die ranghohen Tiere systematisch zugewiesen werden.
  5. Sind die ranghohen Tiere versorgt, trauen sich auch die Rangniederen ans Fressgitter und können ihren Plätzen zugeteilt werden.
  6. Ideal ist, wenn zwischen die noch laktierende Gruppe und die trockenzustellenden oder trockengestellten Tiere ein – besser zwei – leere Fressplätze eingeplant werden können.
  7. Sobald alle Tiere im Fressgitter fixiert sind, verteilen wir das Futter. Die Galten erhalten nur Magerheu, während die laktierenden Tiere so viel Heu und Silage bekommen, wie sie fressen können.
  8. Bis zum Ende der Stallarbeit sollte das gute Futter vollständig aufgefressen sein, sodass – bevor die Tiere wieder losgelassen werden – erneut Magerheu verteilt werden kann. Dieses steht ihnen bis zur nächsten Fütterung zur freien Verfügung. So sind die Tiere beschäftigt, was zu weniger Konflikten führt.
Magerheu – auch Wildiheu genannt – ist Futter, das von extensiv bewirtschafteten Bergwiesen stammt. Diese Flächen befinden sich häufig in steilen, schwer zugänglichen Lagen und zeichnen sich durch eine besonders hohe biologische Vielfalt aus. Die Heuernte dort ist sehr aufwändig und gefährlich. In einigen Kantonen der Innerschweiz sowie im Berner Oberland hat die Gewinnung von Wildiheu eine lange Tradition. Ohne Biodiversitätsbeiträge wäre diese traditionelle Bewirtschaftungsform wirtschaftlich kaum tragbar. Der SRF Dokumentarfilm Der Wildheuer — Senkrecht über dem Urnersee bietet einen guten Einblick.

Vor- und Nachteile

Das Ganze klingt zunächst aufwändig. Die Tiere gewöhnen sich aber sehr schnell an das System und reagieren in der Regel gut auf Lockrufe vom Tenn aus. Sollte das einmal nicht der Fall sein, ist das Geräusch eines sich öffnenden Fressgitters meist unwiderstehlich. Schon nach wenigen Tagen wissen die Kühe genau, dass sie ins Fressgitter gelassen werden – es lohnt sich für sie nicht, dazwischen zu drücken. Wenn man schnell arbeitet, geht das Ganze erstaunlich ruhig von Statten. Dadurch, dass die ranghohen Tieren gleich am Anfang aus dem System entfernt werden, kann man sich auch etwas Zeit für die unsicheren Tiere nehmen.

Auch von Platzwechseln lassen sich die Kühe erstaunlich wenig aus der Ruhe bringen. Nur wenn viele Tiere aufs Mal einen neuen Platz bekommen, verstehen sie gewöhnlich nicht mehr, was von ihnen verlangt wird. Dann kann es sich lohnen, zu zweit zu sein, so dass eine Person im Stall als Platzanweiser arbeiten kann.

Ein weiterer Vorteil: rangniedere Tiere können am Fressgitter besser geschützt werden. Gerade bei behornten Tieren ist das wichtig. Gewisse Kühe kommen sonst kaum zur Ruhe, weil andere sie beim Fressen ständig stören. Mehr Infos zu Stallbauten speziell für behornte Kühe finden sich hier.

Und noch ein letzter Tipp: Wird ein Kalb abgesetzt, rufen Mutter und Jungtier oft nacheinander. Da sie sich in unserem System nach wie vor im gleichen Stall befinden, gibt dies ein munteres Duett. Die Kuh ruft, weil sie ein volles Euter hat, das Kalb wiederum antwortet. Lässt man in dieser Zeit hie und da ein fremdes Kalb an der Kuh saugen, reduziert das ihr Rufen spürbar. Dadurch wird es im Stall deutlich ruhiger. Ruft die Kuh nicht mehr, hört auch das Kalb bald damit auf.


Laura Gisler, 2025

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