Weiden als Bindematerial im Weinbau
Auf Besuch in der Capriasca, TI und in Zizers, GR
Binden mit Naturmaterialien wie Weiden, Binsen oder Stroh, war früher selbstverständlich. Noch bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts wurde im Obst- und Rebbau schweizweit mit Weidenruten gebunden. Aufgrund der einfacheren und zeitsparenderen Handhabung sind heute Binder aus Kunststoffen vorherrschend.
Auf einigen Betrieben wird hierzulande das alte Rebhandwerk des Bindens mit Naturweiden trotzdem nach wie vor und mit Überzeugung gepflegt.
Aus Tradition
Ende Januar im Tessin, im Bezirk Capriasca nähe Lugano: Die Reben in den Weinbergen sind vielerorts bereits fertig geschnitten und Bindearbeiten stehen an. Gebunden wird in der Capriasca traditionell mit Naturweiden, vor allem mit Trieben der Silberweide (Salix alba). Die bizarr geschnittenen Bäume liefern reichlich Material, von welchem insbesondere schlanke Seitentriebe dickerer Äste für Bindearbeiten begehrt sind. Gesammelt und zu Bündeln geschnürt werden diese für die Verwendung bereitgestellt. Warum die Bindeweiden im Tessin zu solch formenreichen Baumpersönlichkeiten geschnitten werden, weiss Winzer Daniel Winiger nicht. Gemäss seinen Tessiner Kollegen, von welchen er auch das Binden mit Naturweiden gelernt hat, seien die Bäume stets in der Art genutzt worden.
Hier in der Capriasca ist man sehr stolz, die Fertigkeiten der alten Bindetechnik zu beherrschen und erfreut sich der akkurat fixierten Rebstöcke. Jahrzehntelange Übung lässt die Ausführung des Knotens dann auch sehr schnell geschehen und ergibt ein gleichmässiges Ergebnis an funktionstüchtigen Bindern. Grundsätzlich ist die Technik nicht schwierig: Das dickere Rutenende wird mehrmals um das dünnere gewunden, dann der Knoten gegen die Drehrichtung eingedreht und die Rutenreste gegebenenfalls eingekürzt.
Das nachfolgende Trocknen an der Sonne verleiht dem Knoten zusätzliche Festigkeit. Mit Einwachsen ist dabei trotzdem nicht zu rechnen. Auch alte Binder aus dem letzten Jahr, sofern noch nicht abgefallen, zeigen keinerlei Einschnürungen oder gar Verletzungen an den Reben.
Aber auch nördlich der Alpen gibt es Betriebe, wo die alte Bindetechnik weiterhin gepflegt wird.
Binder aus verrottbarem Material
Auf dem renommierten 5-ha-Weingut von Manfred und Michela Meier im bündnerischen Zizers gehört das Binden mit Naturweiden ebenfalls zur Familientradition. Das Material dazu liefern auf dem Betrieb kultivierte Kopfweiden von Dotterweiden (Salix alba ssp. vitellina) und Fahlweiden (Salix x fragilis). Vater Andreas Meier hatte die Weiden einst gepflanzt und praktizierte die naturnahe Bindetechnik mit Überzeugung. Um dem vielfältig anfallenden Schnittgut aus Kopfweidenkultur gerecht zu werden, finden dickere Weidengerten bevorzugt zur Fixierung der Rebstöcke Verwendung, während dünnere Triebe für das Anheften der Tragruten fungieren. Zur besseren Handlichkeit der Binderuten haben Meiers spezielle Tragschürzen konzipiert. Bindematerial und Rebschere sind dadurch stets in Griffnähe.
Hat Manfred Meier der althergebrachten Bindetechnik nur als Andenken an den Vater die Treue gehalten? Nicht nur. Dass die ausgedienten Binder verrottbar sind und dadurch keinerlei Fremdstoffe in den Rebberg gelangen gefällt Manfred Meier sehr gut. Ein Aspekt, der für ihn zum Qualitätsbewusstsein gehört und in die Betriebsphilosophie eingeflossen ist. Ausserdem muss beim Winterschnitt weder auf Plastik- noch Metallbänder Rücksicht genommen werden, was dem schadlosen Einsatz der Rebscheren sehr zu Gute kommt. Der grössere Aufwand für die Bindearbeit nehmen Meiers und ihre Helfenden gerne in Kauf; fällt die Arbeit doch in eine Zeit, in der wenig andere Dringlichkeiten anfallen. Ob das Binden mit Weiden wirklich nur Zusatzaufwand ist? Der Besucherin an jenem sonnigen Tag Ende März erscheint das friedliche Tun im Weingut Meier eher als eine Art genussreichen Seins oder gar Meditation.
Wie dem auch sei, den Reben scheint das Binden mit Naturmaterial sichtlich gut zu bekommen, im Churer Rheintal wie im Tessin. Die offerierten Weine, Vino Rosso ‘Aurora’ und Roséwein ‘Schiller’, mundeten jedenfalls ganz ausgezeichnet! – Grazie mille ins Tessin und ein herzliches Dankeschön nach Zizers!
Sonja Züllig-Morf, 2017
Dieser Beitrag erschien in der Zeitschrift korbflechten.ch der Interessengemeinschaft Korbflechterei Schweiz, Juni 2017
Weingut Alla Motta, Daniel Winiger, 6953 Lugaggia, daniel.winiger@bluewin.ch
Weingut Manfred Meier, 7205 Zizers, www.weinbaumeier.ch/
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