Räuchern zur Unterstützung der Kälbergeburt

Geburtshilfe nur bei Bedarf

Grundsätzlich räuchere ich bei der Geburt nur, wenn ich merke, es funktioniert nicht von selber. Es braucht Geduld und Erfahrung zu merken, wann es einfach etwas länger braucht, und wann es wirklich nicht vorwärts geht. Manchmal ist es medizinisch nicht offensichtlich, aber man spürt, die Kuh braucht etwas mehr als andere. Es gibt Kühe, die wollen, dass die Bäuerin oder der Bauer bei der Geburt danebensteht, oder solche die man sogar berühren muss. Dann ist Räuchern allenfalls ein Thema. Andere Kühe wollen lieber alleine sein.

Wir räuchern zur Geburtshilfe zum Beispiel wenn wir merken, der Termin ist schon lange vorbei und die Geburt überfällig. Oder wenn es bei der Geburt nicht vorwärts geht, die Wehen zu wenig stark oder zu unregelmässig sind und das Tier unruhig wird. Rinder, die zum ersten Mal abkalben, können manchmal komplett verstört und total neben der Spur sein. Dann kann man auch bei sonst zahmen Tieren manchmal gar nicht in die Nähe. Deshalb ist die Arbeit mit dem Räucherbündel ganz praktisch; man kann sich aus der Distanz annähern und mit der Windrichtung den Rauch auf das Tier wehen lassen. Auch bei Mutterkühen, bei denen du vielleicht nicht gut in die Nähe kannst, ist Räuchern eine geeignete Methode, weil man das aus der Distanz machen kann.

Ist eine Anwendung notwendig, dann räuchere ich, bis die Geburt komplett abgeschlossen ist. Das heisst, ich treibe auch die Nachgeburt aus.

Das Räuchern bei der Geburt schadet dem Kalb nicht.

Wenn eine Geburt mit wehenanregenden Kräutern begleitet wird, ist es wichtig, dass mechanische Störungen des normalen Geburtsablaufes, wie eine Gebärmutterdrehung (Burdiwund, Überwurf: Torsio uteri) oder eine Fehlstellung des Kalbes erkannt und als Erstes mit Hilfe eines Tierarztes oder einer Fachperson behoben wird.

Freie Wahl des Platzes

Inzwischen versuchen wir möglichst viele Tiere im Freien gebären zu lassen. Bei uns ist die Abkalbesaison im September und Oktober, wenn die Tiere auf der Weide sind. Es gibt jedoch Tiere, die lieber in der Nacht im Stall kalben wollen. Die Tiere können sich bei uns den Ort der Geburt auswählen. Wir stellen dafür eine Weide zur Verfügung, auf der es Strukturen wie Bäume, Holzstapel, usw. hat. Da können sich die Kühe ihr Plätzchen für die Geburt aussuchen.

Bündel sind praktisch

Zum Räuchern verwende ich normalerweise Kräuterbündel. Natürlich kann man die Kräuter auch klein schneiden und in einem Gefäss räuchern. Ich finde das Bündel aber praktischer, auch weil ich das meistens im Freien anwende. Ich kann das Bündel gegen die Windrichtung in den Boden stecken und habe immer noch zwei Hände frei. Für das Räuchern im Stall ist das Bündel nicht ungefährlich; beachte den Abschnitt ‘Risiken’ weiter unten.

Die drei Räucherbündel: Geburtshelfer-Mischung, Beifuss, Eisenkraut (v.l.n.r.)

Beifuss als erste Wahl

Die erste Wahl ist für mich immer der reine Beifuss (Artemisia vulgaris). Mit Beifussrauch geht die Nervosität des Tieres stark zurück, selber ist man ja vielleicht auch aufgeregt, und dir selber hilft es also auch. Beifuss erdet, Mensch und Tier werden ruhig.

Rinder fressen Beifuss ja eigentlich nicht. Aber wenn ich mit dem glühenden Bündel zu den kalbenden Rindern gehe, muss ich wirklich Acht geben, dass die Kühe nicht ins Bündel beissen. Manchmal gehe ich auch mit dem Bündel zum Tier, bevor ich den Beifuss anzünde. Es kam schon vor, dass eine Kuh vom Bündel einfach ein Stück inklusive Schnur abgebissen und gefressen hat. Ich finde das schon spannend, wie die Tiere genau wissen, was sie brauchen. Wenn das Bündel angezündet wird und die Kuh den Rauch einatmet, kann man sofort die Wehenkontraktion sehen. Bei der Geburtshilfe ist es besonders wichtig schnell zu sehen, ob und wie ein Mittel wirkt.

Beifuss wird extrem heiss und kommt auch in der Traditionellen Chinesischen Medizin beim Moxen (Moxibustion) zur Anwendung. Moxa bezeichnet die getrockneten und feinen Beifuss-Fasern.

Wenn die Geburt längst überfällig ist, kann Beifuss angewendet werden um sie einzuleiten. Unter Umständen braucht es dann mehrere Anläufe. Oft passt alles so gut, dass das Kalb innert kurzer Zeit geboren wird, vor allem wenn es nur minimale Unpässlichkeiten sind. Manchmal braucht es jedoch Geduld, Wiederholung und allenfalls die Kombination mit homöopathischen Mitteln oder anderen Anwendungen.

In der Regel wende ich das Räuchern an, wenn das Kalben in Gang ist, aber es nicht genügend vorwärts geht, die Wehen zu schwach und die Geburtswege zu wenig geöffnet sind. Dann bleibe ich mit dem Beifuss-Bündel dabei, allenfalls bis es aufgebraucht ist.

Der gewöhnliche Beifuss (Artemisia vulgaris) ist eine uralte Schamanenpflanze für magische Rituale. (Bild Oceancetaceen – Alice Chodura, Public domain, via Wikimedia Commons)

Beifuss ist sehr risikoarm bei der Anwendung, sofern ein Überwurf und eine massive Fehlstellung des Kalbes ausgeschlossen werden können und keine anderen trächtigen Kühe in der Nähe sind, die einen Abort erleiden könnten. Es lohnt sich, das zu probieren, bevor man den Tierarzt ruft. Denn die Wirkung tritt rasch ein und man sieht augenblicklich ob Bewegung in den Geburtsablauf kommt. Man verliert also nicht viel Zeit.

Früher habe ich zur Geburtshilfe oft die Mischung verwendet, wie sie in meiner Broschüre zu finden ist, als Bündel gebunden einfach ohne die Harze. Also Beifuss, Ruchgras, Wermut, Rainfarn und Eisenkraut. Heute brauche ich sie nur noch für ganz komplizierte Geburten, weil Beifuss alleine meistens für die Unterstützung der Geburt ausreicht.

Kombination mit anderen Methoden

Bei sehr schwierigen Geburten verbinde ich die Anwendung mit homöopathischen Mitteln, wie Pulsatilla, Gelsenium, Caulophyllum (siehe auch: Handbuch zur Homöophatischen Stallapotheke).
Selbstverständlich kann man das Räuchern auch mit der Unterstützung des Tierarztes kombinieren. Zum Beispiel zur Geburtseinleitung, wenn ein totes Kalb ausserhalb des natürlichen Geburtsablaufes geboren werden soll. So kann mit vereinten Kräften im besten Fall ein Kaiserschnitt oder eine Notschlachtung verhindert werden.

Anzünden eines Beifuss-Kräuterbündels.

Geburtshelferpflanze für Fortgeschrittene

Im Zusammenhang mit dem Rausholen von toten Kälbern kann aber das Eisenkraut (Verbena officinalis) zum Einsatz kommen. Oder zum Austreiben der Nachgeburt, bei Nachgeburtsverhalten (Retentio secundinarium). Das Eisenkraut ist nicht zu verwechseln mit Verveine (Zitronenverbene, Aloysia triphylla). Eisenkrautrauch wirkt geburtseröffnend und praktisch alles wird ausgeworfen. Achtung: Bei einem lebenden Kalb besteht das Risiko einer vorzeitigen Plazenta-Ablösung, d.h. die Plazenta kommt vor dem Kalb heraus, dieser Umstand führt zum Tod des Kalbes. Eine andere Nebenwirkung kann eine kurzfristige Lähmung der Hinterhand sein, was aber schnell wieder vorbei geht.

Risiken

Wenn man Kühe in unterschiedlichen Trächtigkeits-Stadien hat, sollte das Räuchern mit den oben aufgeführten Kräutern nicht im Stall angewendet werden. In frühen Phasen der Trächtigkeit kann es Abort geben. Es kann auch eine Frühgeburt auslösen. Ich räuchere nur im Freien und nur mit der betroffenen Kuh, oder bei einer Gruppe die allesamt am Abkalbetermin sind.

Wenn es bei der Geburt nicht vorwärts geht, muss ein Überwurf (mehr oder weniger starke Verdrehung des Kalbs inklusive Gebärmutter um die Längsachse) ausgeschlossen werden können. Bei einem bestehenden Überwurf ist die Räucher-Methode kontraproduktiv und darf nicht angewendet werden. Danach unterstütz das Räuchern eine zügigen Geburtsabschluss der ohnehin schon geplagten Kuh.

Eine massive Fehlstellung des Kalbes muss vorerst mechanisch behoben werden. Bei einem sehr grossen Kalb kann schon eine minimale Fehlstellung problematisch sein. Das heisst, auch in diesem Fall muss vor dem Räuchern manuell eingegriffen werden. Denn das Räuchern treibt den Geburtsablauf voran, ob das Kalb nun rauskann oder nicht.

Diese Methode darf nicht durch schwangere Frauen angewendet werden, denn auch beim Menschen kann eine Frühgeburt oder ein Abort ausgelöst werden.

Wird im Stall geräuchert, muss man sich unbedingt der Feuergefahr bewusst sein und entsprechend achtsam vorgehen. Gerade in alten, engen und vielleicht staubigen Ställen ist die Brandgefahr besonders gross. Jeder fliegende Funke kann eine Feuersbrunst auslösen!

Beatrice Bissig-Odermatt, 2022
Interview und Fotos: Hubert Würsch

Siehe hierzu auch den Beitrag zu den Broschüren von Beatrice Bissig-Odermatt

Hinweis: Die Anwendung der beschriebenen Heilmittel und Rezepturen sowie das Befolgen der Therapieempfehlung geschieht auf eigene Verantwortung; bei Unklarheiten ist das weitere Vorgehen unbedingt mit einem/einer Arzt/Ärztin oder Naturheilpraktiker/in zu besprechen. Die Autorin übernimmt keine Haftung für Schäden irgendeiner Art, die sich direkt oder indirekt aus dem Gebrauch der hier vorgestellten Anwendungen ergeben können.
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