Mob Grazing auf der Fruchtfolgefläche

Aubrac-Mutterkuhherde beim ersten Weidegang im Frühjahr (Bild: Adrian Rubi)

Möglichst lange Weidesaison

Nieselregen, graue Wolken und ein zügiger Wind: Nicht gerade Weidewetter, wie man es sich vorstellt. Dennoch: Als ich an einem Samstag Ende September auf den Betrieb von Adrian und Ada Rubi in Ruswil fahre, sehe ich als erstes die Aubrac-Mutterkühe. Unverdrossen halten sie die Köpfe zu Boden und suchen sich ihr Futter.

Adrians erklärtes Ziel ist es, seine Kühe von Mitte April bis Ende Oktober auf der Weide zu wissen. Dabei setzt er auf das Weidesystem des Mob Grazing. Adrian interessiert sich sehr für das Bodenleben und den Aufbau von Humus, um die Böden zu verbessern und CO2 zu speichern. Unter regenerativen LandwirtInnen gilt Mob Grazing als geeignete Methode, um Trockenheit und Erosion entgegen zu wirken. Dieses Weidesystem orientiert sich im weitesten Sinne an der Bewegung von Wanderherden in Afrikas Savannen.

Mob Grazing zeichnet sich durch fünf Merkmale aus:
1. Hohe Besatzdichte
2. Kurze Verweilzeiten
3. Lange Rastzeiten bis zur nächsten Beweidung
4. Grosse Aufwuchshöhe
5. Bildung einer Mulchschicht durch das Niedertrampeln der Vegetation
(Definition von Netzwerk Mob Grazing)

In seinem System verleiht Adrian dem Ganzen jedoch einen Twist: Seine Kühe weiden fast vollständig auf der Fruchtfolgefläche. In der fünfjährigen Fruchtfolge stehen am Schluss zwei Jahre Kunstwiese. Auf diesen Flächen grasen die Kühe. Zudem wird nach dem Winterweizen eine überwinternde Gründüngung gesät, die im Herbst, sowie im Frühjahr vor der Sommerkultur bestossen wird. Adrian erklärt:

Es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass bei Gründüngungen in erster Linie die Wurzeln und ihre Exudate für den Humusaufbau verantwortlich sind, nicht die oberirdische Grünmasse. Statt nun diese Grünmasse mit einem Traktor einzuarbeiten und so Treibstoff zu verbrauchen, verwerten meine Kühe diese Ressource.

Adrian Rubi, Landwirt

Die Kühe fressen in erster Linie die Gräser und die gräserartigen Pflanzen der Gründüngung. Bei den Sonnenblumen fressen sie nur die Blütenköpfe und Kohlpflanzen wie den Leindotter ignorieren sie gänzlich. Nachdem eine Gründüngungsparzelle im Herbst mit den Kühen bestossen wurde, sind die meisten Pflanzen komplett zu Boden gewalzt. Dort bilden sie eine schützende Mulchschicht, unter der der Boden von Niederschlagserosion verschont bleibt. Im Frühjahr schiessen die Gräser wieder aus, was es ermöglicht, auf dieser Fläche einen bis zwei Weidegänge durchzuführen, bis Mitte Mai die Goldhirse angesät wird.

Die Gründüngung INSECT PROTECT Ende September

Ausgeklügelte Pflanzenwahl

Um die Ackerflächen in Kunstwiesen zu überführen, sät Adrian sofort nach der Getreideernte ein Landsberger-Gemenge an. Dieses läuft sehr schnell auf und bedeckt den Boden sehr gut. Jedoch mischt Adrian zusätzliche Pflanzen ein: Buchweizen und Futter-Chicorée.

Wieso Buchweizen und Futter-Chicorée? Adrian erklärt: “Ich habe hier auf dem Betrieb ein Blackenproblem. Dabei handelt es sich um Altlasten, die wir nun langsam abbauen. Buchweizen gehört zur selben Pflanzenfamilie wie die Blacke (Familie der Polygonaceae, Anm. d. Red). Daher hoffe ich, dass er gegenüber der Blacke eine verdrängende Wirkung einnehmen kann. Besonders, dass weniger Blackensamen keimen können, die durch die Bodenbearbeitung nach oben geholt werden. Der Futter-Chicorée hingegen bildet eine sehr tiefe Pfahlwurzel aus und erschliesst somit auch Bodenschichten, die dem Gras und Klee im Landsberger Gemenge nicht zugänglich sind. Mir ist es sehr wichtig, dass auf meinen Flächen vielfältige Pflanzenbestände wachsen, die im Boden verschiedene Dimensionen nutzen. Da auch die Blacke eine sehr tiefe Wurzel bildet, erhoffe ich mir ausserdem auch eine gewisse Wurzelkonkurrenz zwischen diesen beiden Pflanzen.”

Für die Eindämmung der Blacken sind jedoch noch weitere Massnahmen erforderlich. Adrian erklärt: “Wir stechen Blacken vor allem im Weizen nach dem Kunstwiesenumbruch. Erstens ist der Boden dann noch locker und man kann ohne grossen Aufwand die ganze Wurzel entfernen. Zweitens lohnt sich die Bekämpfung auch, weil trotz unserer Massnahmen immer wieder neue Blackensamen keimen, aber bei weitem nicht mehr so viele wie in den ersten 3 Jahren nach der Umstellung auf Bio.”

Aubrac-Mutterkuhherde, im Vordergrund ist der Futter-Chicorée sichtbar

Bei genauerer Betrachtung zeigt sich, dass sich der Futter-Chicorée überall auf der Weidefläche befindet. Die Blätter sehen dem Löwenzahn täuschend ähnlich, weisen aber ein etwas helleres, gelbliches Grün auf. Den Kühen scheint der Chicorée zu schmecken, meint Adrian. Vereinzelt sind auf der Weide auch Chicorée-Stängel zu sehen, von denen einige sogar blühen. “Ja, bei einem späten ersten Schnitt hat es schon etwas Stängel im Aufwuchs. Das ist bei der Menge aber nicht weiter tragisch.”, meint Adrian. Der grösste Nachteil des Chicorées ist, dass er im Pfluglosen Anbau nicht wieder aus den Flächen entfernt werden kann. Deshalb geht Adrian hier einen Kompromiss ein: Einzig für den Umbruch der Kunstwiese wird der Pflug verwendet, im restlichen Ackerbau verzichtet er darauf.

Im Jahr nach der Getreideernte wird in das Landsberger Gemenge eine OH-240-Mischung eingesät. Dies, da das Landsberger Gemenge recht kurzlebig ist. Auch hier wird noch etwas zusätzliches Saatgut beigemischt, diesmal Spitzwegerich. Auch diese Pflanze wurzelt sehr tief, und trägt dazu bei, Kohlenstoff in tiefere Bodenschichten zu bringen und die Blacke zu verdrängen. Eine weitere spezielle Eigenschaft des Spitzwegerichs ist, dass er die Nitrifizierung (Umwandlung von Ammonium in Nitrat) von Stickstoff hemmt. Dadurch sollten die Auswaschungsverluste der Gülle geringer sein.1 Zudem ist es Adrian wichtig, dass sich auch Kräuter im Futter seiner Tiere befinden, da diese wertvolle Mineralstoffe und Vitamine enthalten.

Bodenleben und Humusaufbau

Die Wurzel des Futter-Chicorée (Bild: Adrian Rubi)

Der Betrieb setzt nun seit vier Jahren auf das System Mob Grazing. Sind denn bereits Ergebnisse sichtbar? Ja, meint Adrian. Bei der Untersuchung eines Kuhfladens unter dem Mikroskop stellte er fest, dass dieser stark von Pilzhyphen durchzogen war. Da Pilze in Ackerböden aufgrund der starken Bodenbearbeitung meist einen schweren Stand haben, wertet er dies als ausgesprochen gutes Zeichen. Aber auch mit blossem Auge ist sichtbar, dass die Beweidung das Bodenleben fördert. Unter der Oberfläche eines alten Kuhfladens zeigen sich mehrere Regenwürmer. Der Kot scheint schön in den Boden eingearbeitet zu sein. Dabei hat Adrian beobachtet, dass Kuhfladen, die auf der Mulchschicht aufliegen, statt direkt auf dem Boden, viel schneller und stärker von Insekten besiedelt werden. Seine Hypothese ist, dass dies auf die bessere Durchlüftung zurückzuführen ist.

Auch in den Spatenproben zeigt sich der Boden mit der Zeit immer krümeliger und lockerer. Gleichzeitig sind aber auch Rückschritte zu verkraften. Im sehr nassen Sommer 2024 war in den Weiden eine gewisse Bodenverdichtung gut zu erkennen.

Zur Bestimmung des Humusgehalts steht 2025 eine Bodenuntersuchung an. Adrians Ziel ist eine jährliche Zunahme des Humusgehaltes um 0.2 %. Dies ist aus seiner Warte realistisch, da bei der Erstuntersuchung 2021 mit 2.1 % Humusgehalt der gemessene Wert sehr tief war. Gleichzeitig weisen schwere Böden, wie sie auf dem Betrieb vorherrschen, aufgrund ihrer hohen Tongehalte ein grosses Potential für die Humusbildung auf.

Regenwürmer unter einem Kuhfladen

Mob Grazing konkret

Wie wird das Mob Grazing geplant? Welche täglichen Arbeiten fallen dabei an?

Im Frühjahr werden zuerst die Randzäune der Weiden erstellt. Diese bestehen aus zwei stromführenden Litzen. Als stabile End-Verankerungspunkte dienen Metallpfähle mit Getriebehaspeln. Diese können fixiert werden, wodurch der Draht schön gespannt werden kann. Für die Abtrennungen der Tages-Portionen wird nur eine Litze verwendet. Ein Durchschlüpfen der Kälber unter dem Draht stellt kein Problem dar. Immerhin befinden sie sich immer noch auf der eingezäunten Weidefläche.

Zweimal am Tag, am Morgen und am Abend, wird den Tieren eine neue Portion zur Verfügung gestellt. Beim Verschieben der Zäune zählt Adrian immer seine Schritte, sodass er beim nächsten Verschieben einfach die benötigte Fläche anpassen kann. Die hintere Abzäunung wird spätestens nach ein bis zwei Tagen ebenfalls verschoben. Dass sie länger an einem Ort belassen werden kann, hat den Vorteil, dass der Tränkewagen nicht jedes Mal verschoben werden muss. Gleichzeitig will Adrian dies aber nicht ausreizen, da ein zu baldiges Abfressen des neuen Aufwuchses die Gräser schwächt und somit nicht den Zielen des Mob Grazing entspricht. Eine lange Regenerationszeit der Futterpflanzen gilt als sehr wichtig, weil sie dadurch ihre Reserven weniger stark aufzehren. Dadurch können sie mehr Wurzelausscheidungen in den Boden abgeben und das Bodenleben und dem Humusaufbau fördern.

Das Nachzäunen dient auch der täglichen Kontrolle der Tiere. Da sie sich sofort auf die neue Fläche begeben, sieht Adrian, wie sie sich bewegen und ob alle sofort zu fressen beginnen. Da die Weidehaltung sonst eher kontaktarm ist, ist dieser Aspekt nicht zu vernachlässigen.

Mob Grazing im Jahresverlauf

Im Frühjahr wird zum Teil zuerst die Gründüngung beweidet, sodass auf den Kunstwiesen ein erster Heuschnitt erfolgen kann. Abgesehen davon werden die Weiden aber nicht gemäht. Die erste Bestossung erfolgt eher spät und in sehr hohes Gras. Dadurch wird gegen die Hälfte der Grünmasse zu Boden gedrückt und bildet dort eine schützende Mulchschicht. Die plattgewalzten Pflanzenteile sterben nur langsam ab, sodass deren Reservestoffe der gesamten Pflanze immer noch zur Verfügung stehen. Dadurch schiessen die Pflanzen an der Basis neu aus. Durch diese Mulchschicht bleibt der Boden stets schön feucht und das berüchtigte Sommerloch bei den Futtererträgen kann grösstenteils vermieden werden. Auch scheint diese Mulchschicht den Boden bei feuchtem Wetter etwas vor Trittschäden zu schützen.

Nach der ersten Beweidung wird die Fläche bis im Herbst alle fünf bis sechs Wochen mit den Tieren bestossen. Dadurch sind die folgenden Aufwüchse weniger hoch und es wird weniger Pflanzenmaterial niedergetrampelt. Besonders gegen den Herbst ist dies erwünscht, damit die Weiden sauber in den Winter gehen können. Die Bilder unten zeigen den Unterschied zwischen einer Frühlings- und einer Herbstweide und wie viel Pflanzenmaterial jeweils stehen bleibt.

Im Frühling wird auf jeder Weidefläche ein bis zwei Mal Gülle ausgebracht. Später im Jahr folgen dann noch ebenso viele Gaben von Komposttee. Diesem mischt Adrian etwas Zink und Bor bei. Da die Weide so gut wie keine Schattenstrukturen aufweist, werden die Tiere im Sommer teilweise unter dem Tag eingestallt und in der Nacht auf die Weide gelassen. Ebenso werden die Tiere in den Stall genommen, wenn ein Beef verladen werden muss. Abkalbungen finden in der Weidesaison hingegen draussen statt.

Grenzen des Systems

Dass das Mob Grazing auf dem Betrieb effizient abläuft, macht Adrian an mehreren Faktoren fest. Erstens besitzt der Betrieb ausschliesslich arrondiertes Land. Dies erleichtert den Viehumtrieb, die Strom- und Wasserversorgung der Weiden, sowie die tägliche Kontrolle. Zweitens verfügt der Betrieb über gleichmässig geformte Parzellen mit kaum dauerhaften Strukturen (Bäume, Büsche…) innerhalb der Parzelle. Dies ermöglicht eine lineare Zaunführung und das Abtrennen von gleichmässigen Tagesportionen. Hochstammobstflächen und Agroforst ist auf dem Betrieb zwar vorhanden, diese Flächen werden aber nicht durch Beweidung, sondern durch Mahd genutzt. Und drittens ist die Herdengrösse von Bedeutung. Denn: je weniger Tiere pro Gruppe, desto kleiner werden auch die Tagesportionen, sodass das System irgendwann ineffizient wird.

Weiter würde das spezifische Halterhus-System auf Betrieben mit Hangneigung nicht funktionieren, weil diese natürlich nicht ackerfähig sind. Aber auch sonst sind dem System in Hanglagen Grenzen gesetzt. Dass merkt Adrian bereits in der einzigen Dauergrünland-Weide auf dem Betrieb. Diese befindet sich in einer leichten Hanglage. Bei feuchtem Wetter kann der Tränkewagen nicht mehr hangaufwärts verschoben werden. Dies wiederum schränkt die Parzellen-Aufteilung ein.

Grenzen ganz anderer Art sind dem System auch agrarpolitisch gesetzt. Da es eher unüblich ist, Gründüngungsflächen zu beweiden, kann es bei einer Kontrolle den Anschein machen, der Betrieb habe zu wenig Weidefläche nach den RAUS-Vorschriften. Um dem vorzubeugen, macht Adrian jeweils Fotos der beweideten Flächen. Dass die tägliche Weideportion kaum 4 Aren/GVE beträgt, war bei den Kontrollen bis jetzt kein Problem, da die Kontrolleure dabei die ganze Weidefläche berücksichtigen und nicht nur die Tagesportion.


1 Zu diesen Eigenschaften des Spitzwegerichs führt das FIBL momentan ein Forschungsprojekt durch.

Laura Gisler, 2024

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Halterhus
Ruswil
Adrian Rubi
normalerweise 1 Praktikant*in oder WWOFer*in
7.5 ha
9.5 ha
1.8 ha
Bio Suisse
Mutterkuhhaltung und Ackerbau
Brot-Winterweizen, Dinkel, Hafer, Goldhirse, Auskernbohnen, Hochstammobstbäume, Agroforstanlage mit Haselnüssen
15 Mutterkühe mit Kälbern, Stier und eigene Nachzucht
750 m ü. M.
1200 mm
sehr tiefgründige Böden, schwer
Zum Hofportrait
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