Wiesenschwein – wühlen, grasen, baden

Mitten in der UNESCO Biosphäre Entlebuch liegt auf rund 1’100 m ü. M. der Betrieb von Marcel Schöpfer. Marcel konnte den Betrieb im Jahr 2020 von seinem Vater übernehmen. Nebst Schweinemast wird auf dem IP-Betrieb auch Milchproduktion und Rinder-Aufzucht betrieben. Die Kühe sind dabei ganzjährig auf dem Betrieb, die Jungtiere (Aufzucht) gehen im Sommer rund 100 Tage auf die Alp zum Weiden.
Vom Vater wurde 2001 der Schweinestall nach IP Standard mit darüber liegender Remise erstellt. Zudem wurden bereits die RAUS-Richtlinien erfüllt (d.h. die Schweine erhalten unter anderem täglich Auslauf im Freien). Im Stallinneren war Stroh eingestreut und im Auslauf war wie üblich der betonierte Platz.

Motivation

Bei einem Betriebsbesuch auf dem Brügghof sah Marcel Schöpfer zum ersten Mal das von Oli Hess entwickelte System der Wiesenschwein AG. Sogleich war für ihn klar: dieses Haltungssystem wollte er unbedingt auch haben. Neben dem verbesserten Tierwohl überzeugte ihn auch der ganzjährig gleichbleibende Abnahmepreis, welcher deutlich höher lag als der Preis des bisherigen Abnehmers.

Umstellung

Der Umbau, respektive die Erweiterung der Anlage wurde durch die Mitarbeiter der Wiesenschwein AG vorbildlich vorbereitet und begleitet. Im Dezember 2020 verliess die letzte Gruppe Schweine den Betrieb nach altem System und im Februar 2021 konnten bereits die ersten ‘Wiesenschweine’ einziehen.
Auch mit dem System der Wiesenschwein AG werden unverändert 156 Mastschweine gehalten. Früher waren es sechs Gruppen à 26 Tiere, jetzt sind es drei Gruppen à 52 Tiere.

Der Auslauf ist wie der Innenbereich mit Sägemehl eingestreut und es wurde von sechs kleineren Gruppen auf drei doppelt so grosse Gruppen umgestellt.

Indoor

Der Innenbereich brauchte eigentlich keine Anpassungen. Es wurde lediglich die Einstreu von Stroh auf Sägemehl umgestellt. In den aufgehängten Körben sind Emd und Stroh zur Beschäftigung der Schweine. Davon erhalten sie je zwei Korbfüllungen pro Tag. Die Besatzdichte im Innenbereich und im Auslauf entspricht den IP Suisse Richtlinien.

Das Sägemehl kann via Verteilanlage direkt in den Liegebereich eingeblasen werden.

Wühlbereich

Der Wühlbereich besteht aus einer rund 40 cm mächtigen Schicht aus Sägemehl. Einmal im Monat wird das Sägemehl durchmischt. Es ist vorgesehen, das Sägemehl einmal im Jahr neu einzustreuen. Das gebrauchte Sägemehl soll kompostiert werden und danach erneut für eine bestimmte Dauer in den Wühlbereich eingebracht werden. Schlussendlich wird die ehemalige Einstreu als Dünger ausgebracht. In einer bestimmten Ecke des Wühlbereichs koten die Schweine. Dies wurde bereits beim ersten Austrieb durch die Tiere so festgelegt.

Die Schweine fühlen sich im Wühlbereich sichtlich wohl und legen sich auch mal hin.

Suhle

Die Suhle gehört mit der Wiese zum ungedeckten Teil des Aussenbereiches. Wenn sich das Tor aus dem Wühlbereich nach draussen öffnet, laufen die Schweine direkt auf die Suhle zu. Gegen die Weide hin ist die Suhle U-förmig mit Baumstämmen abgegrenzt. Die Suhle ist rund 1 m tief mit Torf aufgefüllt. Der Torf stammt aus einem lokalen Baugrubenaushub.

Das Suhlen gehört zum natürlichen Verhalten der Schweine. Die Schlammschicht schützt die Haut vor Sonne, äusseren Parasiten, Stechinsekten und dient zudem zur Temperaturregulierung.

Weide

Auf der doppelt eingezäunten Weide hat es zwei Besonderheiten. Um ein allzu tiefes Graben, Umwühlen und damit Zerstören der Grasnarbe zu verhindern wurde einerseits ein robustes Netz ausgelegt und darauf wieder rund 3-4 cm Humus verteilt. Andererseits wurde eine spezielle, besonders robuste Rasenmischung angesät.

Der Grasbestand sah bei meinem Besuch ganz gut aus. Dies liegt an der beschränkten Dauer, die die Schweine täglich auf der Wiese verbringen. Gleichzeitig ist man bei nassem Wetter noch sehr zurückhaltend mit der Beweidung. Es ist noch ein Abwägen, wie oft und bei welchem Wetter die Schweine raus können.
Da die Schweine sehr gerne an Ästen und anderen Holzteilen nagen, hatte Marcel eine Idee. Zur Beschäftigung hat er den Schweinen rohe Zaunpfähle in den Auslauf gelegt. Die Schweine haben ihm die Arbeit des Entrindens tatsächlich abgenommen.

Von den Schweinen geschälte Pfähle.

Fütterung

Die Fütterung erfolgt mit einer ‘normalen’ Dreiphasenfütterung. D.h. mit zunehmender Mastdauer erhalten die Tiere dem Alter angepasstes Futter. Die Wiesenschwein AG hat eigene Futtermischungen herstellen lassen.
Gemäss Reglement der Wiesenschwein AG muss den Schweinen mindestens zweimal wöchentlich Gras, Heu oder Emd angeboten werden. Die Menge verfüttertes Raufutter muss im Durchschnitt 50 g pro Tier und Tag betragen.

Pool

Der Pool grenzt direkt an den Wühlbereich und ist für die Schweine täglich zugänglich. Nur im Winter ist das Schwimmbad leer, aber bei zu kaltem Wasser haben die Schweine auch keine Lust auf ein Bad. Das Wasser wird laufend über eine UV- und Filteranlage gereinigt.

Sofern das Wasser nicht zu kalt ist, dreht so manches Schwein eine Runde im Pool. (Bild Marcel Schöpfer)

Ablauf

Die jungen Tiere kommen mit einem Gewicht von 25 – 30 kg auf den Betrieb. Die Jungtiere werden nach wie vor vom selben Lieferanten geliefert. Dann bleiben sie rund 100 bis 110 Tage auf dem Betrieb und werden mit einem Gewicht von ca. 120 kg zur Schlachtung abgeholt.
Zweimal am Tag kann jede Gruppe für eine Stunde in den Wühlbereich und bei entsprechendem Wetter auch auf die Wiese.
Mit «Gutzi» (Leckerei) als Ablenkfutter, welche direkt über der Suhle ausgeblasen werden, können die Schweine von der Weide zur Suhle gelockt werden. Damit kann bei Bedarf die Wiese entlastet werden, um Schäden an der Grasnarbe zu verhindern.
Sobald ein bestimmtes Musikstück abgespielt wird (für jede Gruppe eine andere Melodie), rennen die Tiere zurück in den Stall. Sie wissen dann nämlich, es erwartet sie frisches Futter im Trog.

Die Schweine werden mit Musik von der Weide zurück in den Stall geholt.

Gesundheit

Eine deutliche Verbesserung ist bei der Schweinegesundheit festzustellen. Es gibt spürbar weniger Fälle von Panaritium / Lahmgehen und Darmverdrehungen (HIS). Die Anzahl Abgänge hat abgenommen. Soweit möglich werden die Schweine mit homöopathischen Mitteln behandelt.
Seit Beginn der Wiesenschweine im Dezember 2018 werden regelmässig Kotproben genommen. Diese werden in einem externen Labor wissenschaftlich auf Parasiten (Würmer) untersucht. Alle diese Untersuche waren bisher frei von Würmern. Das liegt wohl vor allem daran, dass die Wiesennutzung zeitlich beschränkt ist und der Kotabsatz draussen kaum stattfindet.

Fleischqualität

Marcel ist überzeugt, das Fett und die Fleischqualität der Wiesenschweine unterscheidet sich positiv von der Qualität aus dem früheren Haltungssystem. Die Einschätzung der Fleischqualität von Manuela Mehr (Fleischfachfrau), der Partnerin von Marcel Schöpfer:
«Ich persönlich finde das Wiesenschweinfleisch im Gegenteil zu anderem Schweinefleisch zarter und schmackhafter. Meiner Meinung nach liegt es daran, dass das Wiesenschwein mehr Bewegung hat. Durch die Bewegung wird der Wasserhaushalt im Schwein angeregt und die Zirkulation gefördert. Das Fett im und am Fleisch ist viel weicher und zarter. Aufgefallen ist mir dies vor allem beim Speck und beim Hals-Steak. Auch beim Anbraten merkt man diesen Unterschied, da das Fleisch sich weniger zusammenzieht und weniger Wasser verliert. Probiert das Wiesenschweinfleisch selber, es lohnt sich und es wird euch munden.»

2019 wurde bei Betty Bossy eine sehr aufwändige Blinddegustation durchgeführt. Es wurden verschiedene Fleischstücke ungewürzt und mit verschiedenen Kochmethoden von mehreren Labels direkt verglichen. Die Testgruppen waren Fleischfachkräfte, Detailhändler, Köche und Gäste. Es wurde blind getestet und das Resultat war mit einer Übereinstimmung von über 90 % klar: “Bestes Schweinefleisch ist das Wiesenschweinefleisch”. Auch bei drei weiteren Verkostungen bei verschiedenen Gastro-Organisationen wurden dieselben Resultate erzielt.

Stalltechnik

Die gesamte Anlage hat einen sehr hohen Automatisierungsgrad. Fütterung, Einstreu, Toröffnungen, Lockfutter und Musik als Fütterungssignal sind automatisch gesteuert. Die Hubtore wurden übrigens eigens für dieses System entwickelt. Die Anlage wird mit Kameras überwacht, welche live über Internet betrachtet werden können. Wie bei jeder automatischen Anlage wie z.B. einem Melkroboter, wird auch hier bei einer Fehlfunktion eine Nachricht an die verantwortliche Person versandt. Dies kommt zum Glück nur sehr selten vor. Die restlichen Routinearbeiten (Entmisten, Beschäftigungskorb füllen, etc.) und die Unterhaltsarbeiten sind händisch auszuführen. Die Technik hat seinen Preis und bei allfälligen Warn- oder Fehlermeldungen muss jemand abrufbar sein. Dafür bleibt mehr Zeit zum Beobachten der Tiere und für andere Arbeiten.

Mittels Touchpad kann die Anlage live überwacht und gesteuert werden.

Voraussetzungen

Nebst der Überzeugung für das System der Wiesenschwein AG braucht es angrenzend an den bestehenden Schweinestall genügend Platz für die zusätzliche Strukturen. Zudem darf das Gelände für die Weide nicht zu stark geneigt sein.

Fazit

Das Haltungssystem und die Infrastruktur der Wiesenschwein AG ist ausgereift. Der Unterhalt der zusätzlichen Infrastruktur gibt etwas Mehrarbeit. Aber wenn man an den Tieren Freude hat und sie wertschätzt, dann nimmt man den Mehraufwand in Kauf, welcher notabene über den verbesserten Absatzpreis vergütet wird. Denn den Konsumenten soll das verbesserte Tierwohl und das Wohl der Bäuerin, des Bauern etwas Wert sein.

Ich kann die Aussage von Marcel Schöpfer bestätigen: «Die Tiere sind anhänglich(er)»

Auch die Familie, die Kinder sind vom neuen System begeistert. Für die Nachbarn, die Leute aus dem Dorf und die Feriengäste auf dem Hof sind die Wiesenschweine ein Anziehungspunkt.
Marcel Schöpfers Highlights: Das Sozialverhalten und die Freude sind bei den Tieren sichtbar. Die Schweine sind anhänglicher. Das Betrachten der munteren Schweine macht Spass. Es gibt merklich weniger Geruchsemmissionen durch die Einstreu auch im Aussenbereich.
Marcel Schöpfer und Manuela Mehr sind von den zufriedenen Schweinen und dem guten Fleisch begeistert. Und in der Nacht sei Ruhe, denn dann schlafen die Schweine.

Hubert Würsch, 2021

Für weitere Informationen siehe die Seite der Wiesenschwein AG.

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