Bruderkalb-Initiative
Kälber kuhgebunden aufziehen und regional vermarkten
Anja Frey ist die Initiatorin des Projektes Bruderkalb-Initiative in Hohenlohe in Baden-Württemberg. Sie führt gemeinsam mit ihrem Mann einen Demeter-Milchbetrieb mit muttergebundener Kälberaufzucht und hat vor zehn Jahren mit der Vermarktung von Kalbfleisch der eigenen Kälber begonnen. Inzwischen betreut und vermarktet sie Kälber von 30 Milchviehbetrieben, die sie teilweise auch bei der Umstellung ihrer Haltungsform berät. Denn Grundlage des Projektes ist die kuhgebundene Aufzucht aller Kälber.
Wie hat alles begonnen?
Anja Frey: Wir haben uns auf dem Voelkeswaldhof schon lange Gedanken gemacht, wie wir es schaffen, alle Kälber zu behalten und so aufzuziehen, wie wir es moralisch und ethisch vertreten können und die nicht für die Milchviehhaltung benötigten direkt zu vermarkten. Heute bleiben die Nachzucht-Kälber für drei Monate bei der Mutter, die Kälber für die Fleischvermarktung sogar 4-5 Monate. Wir mästen sie dann noch 1-2 Monate auf dem Hof, anschliessend kommen sie mit etwa 6 Monaten zur Schlachtung. Mastfähige Kälber gehen teilweise auch auf einen nahen Mutterkuhbetrieb, der Weidebullen aufzieht. Das Fleisch der Kälber ging anfangs nur an eine Metzgerei in Stuttgart.
Im Landesvorstand von Demeter widme ich mich verstärkt dem Thema Kalbfleischvermarktung. Es gibt da landesweit ein Riesenproblem – über alle Aufzuchtmethoden hinweg, egal ob bio oder konventionell. Kalbfleisch hat kaum einen Markt und die Kälber gehen mit 2,3 Wochen einfach vom Betrieb weg, irgendwohin, oft sogar bis nach Spanien in große Mastanlagen. Das darf nicht sein. Wir müssen uns als Milchviehhalter unserer Verantwortung bewusst werden.
Zeitgleich haben wir uns als Bio-Musterregion beworben und die Kalbfleischvermarktung als Projekt eingereicht und wurden ausgewählt. Dadurch hatten wir dann viel Unterstützung beim Aufbau des Netzwerkes und bei organisatorischen Aufgaben. Zudem finden mit Partnern aus Wissenschaft, Praxis und Verarbeitung regelmäßig Veranstaltungen und Praxsidialoge zum Thema Kuhgebundene Kälberaufzucht statt.
Ihr vermarktet nur Bio-Kälber?
Ja, und das ist schon aufwändig genug. Anfangs haben wir uns als vier Betriebe zusammengesetzt, zwei Bioland und zwei Demeter. Wir haben uns bei diversen Treffen überlegt: Welche Standards setzen wir? Wie treten wir nach aussen auf? An wen können wir das Fleisch vermarkten? Wo können wir die Tiere schlachten? Es wurden Gespräche mit dem Verarbeiter (Erzeugerschlachthof Schwäbisch-Hall), mit der Gastronomie, Kantinen und dem Handel geführt. Im September 2019 haben wir die ersten Kälber aus kuhgebundener Kälberaufzucht als Bruderkalb-Initiative vermarktet. Die Bioland- und Demeter-Landwirte erhalten 8€ / kg Schlachtgewicht bei R2-Klassifizierung. Das ist nicht schlecht, doch braucht es für mittel- und langfristig kostendeckendes Arbeiten auch einen Mehrpreis für die Milch aus kuhgebundener Aufzucht.
Wo wird Euer Fleisch verkauft?
An Metzgereien in der Region, über den Erzeugerschlachthof Schwäbisch Hall, über Läden und auch einiges über die Gastronomie. Auch an Kaufland liefern wir zu Konditionen, die wir von der Erzeugerseite stark bestimmt haben. Dazu gehören Preis, Schlachtort und der Verzicht auf Preiswerbung vor Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums. Auch mit dem Naturkost Fachhandel haben wir Gespräche geführt. Wir vermarkten an alle Abnehmer insgesamt im Moment 4-6 Kälber pro Woche.
Machen alle Betriebe kuhgebundene Kälberaufzucht?
Es machen noch nicht alle Betriebe – doch alle sind auf dem Weg. Wer neu dazu kommt, hat Zeit ein Jahr lang zu probieren, welche Form der kuhgebundenen Kälberhaltung auf seinen / ihren Hof passt. In diesem Übergangsjahr müssen noch nicht alle Kälber auf diese Weise aufgezogen werden. Doch die Kälber, die über uns vermarktet werden, müssen in jedem Falle drei Monate die Möglichkeit gehabt haben, an einer Kuh (Mutter oder Amme) zu trinken.
Das ist wichtig für die Vermarktung – wir bieten etwas besonderes, das sich von der klassischen vielerorts verpönten Kälbermast abhebt. Ich kenne sogar Vegetarier, die jetzt dieses Kalbfleisch essen, weil sie sagen, so ist die Haltung in Ordnung für die Tiere. Und zu Milch gehört eben auch Fleisch dazu. Und in unsere Landschaften gehören Wiederkäuer.
Für Dich hat die muttergebundene Kälberaufzucht viele Vorteile?
Ja, ich kann gleich fünf verschiedene Vorteile nennen. Aus meiner Sicht ist es die artgerechteste und gesündeste Form der Milchviehhaltung, für Kuh und Kalb.
Der Milchmarkt wird entlastet, denn einen Teil der Milch trinken die Kälber. Der Fleischmarkt ebenfalls, weil ein Teil der Kälber schon mit einem halben Jahr geschlachtet wird und so nicht als Bullenfleisch in mehrfacher Menge auf den Markt kommt.
Die Kühe kommen später in die Brunst, wenn sie Kälber bei sich haben, statt 310-320-Tagen beträgt die Zwischenkalbezeit 400-500 Tage. Es werden also über die Lebensdauer einer Milchkuh verteilt weniger Kälber geboren. Und fünftens auch Kälber von Rot- oder Schwarzbunten mit ihren nicht so guten Masteigenschaften, die (ausreichend) an der Kuh trinken konnten, haben im Alter von 6 Monaten etwa die gleichen Schlachtqualitäten wie ein Kalb der Zweinutzungsrasse Fleckvieh. Bei herkömmlicher Aufzucht mit zwei Mal täglichem Tränken ist dies nicht so.
Dennoch braucht es ein schrittweises Umstellen auf Zweinutzungsrassen. Denn für die Bullenmast eignen sich die Kälber der reinen Milchrassen nicht.
Ihr heisst Bruderkalb-Initiative – ist das der passende Name?
Wir haben lange über diesen Namen diskutiert. Doch letztendlich ist er es doch geworden, obwohl er die weiblichen Kälber, die nicht zu Milchkühen werden, nicht berücksichtigt und einen eher menschlichen Begriff beinhaltet.
Es gibt regelmässig neue Anfragen von Milchbauern – und -bäuerinnen, die mitmachen möchten. Es läuft gut. Da hilft auch die Kooperation mit der Bio-Musterregion und dem Projekt Wertkalb sehr. Damit zukünftig mehr Landwirte wertschöpfend ihre Verantwortung für die Kälber übernehmen können, braucht es noch mehr Verbraucher, die Fleisch und Milch aus kuhgebundener Kälberaufzucht kaufen möchten und bereit sind, den entsprechenden Mehrpreis zu zahlen.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
Sonja Korspeter.
Dieses Interview ist auch schon in der Unabhängigen Bauernstimme erschienen, Ausgabe 12/2020, www.bauernstimme.de
Die Internetseite der Bruderkalb-Initiative: https://bruderkalb.wordpress.com/
Die Internetseiten des Voelkeswaldhofes:
https://www.voelkleswaldhof.deundhttps://de-de.facebook.com/Voelkleswaldhof
In diesem Artikel werden die Ziele des oben erwähnten Wertkalb-Projektes beschrieben – innovative und wertschöpfende Lösungsstrategien für das “Kälber-Problem” entlang der Wertschöpfungskette zu untersuchen und entwickeln
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