Market Garden neu aufgebaut

Die Idee

Einige Jahre schlummerte bei Anita Z’Rotz und Martin von Holzen die Idee einer Gemüse-Direktvermarktung über Gemüseabos. Das Konzept gefiel ihnen schon lange und früher oder später wollen sie ohne Nebenerwerb vollständig von ihrem kleinen Landwirtschaftsbetrieb leben können.
Die beiden hatten bereits einige Erfahrung in ihrem Hausgarten gesammelt und auch die eigenen «Berg»-Artischocken erfolgreich vermarktet. Die Arbeitsbelastung mit Rindern, Hofkulinarik, Nebenerwerb und Familie war jedoch so hoch, dass für die Erarbeitung eines Gemüseanbau-Konzeptes keine Zeit blieb.
2018 besuchte Anita dann bei der Kooperationsstelle für Solidarische Landwirtschaft den Kursblock «Solawi Betriebskonzept», für sie eine Horizonterweiterung im Bereich Zusammenarbeit, solidarischer Gedanke und gemeinschaftliches Handeln. Inhaltlich hat Anita in diesem Kurs viel gelernt was Planung und Organisation angeht.

Verschiedene Schläge beim Hof Murmatt

Weder Anita noch Martin haben eine Ausbildung im Gemüsebau genossen. Deshalb wussten sie zunächst auch nicht recht, wie sie das Ganze konkret anpacken sollten. Doch als sie das Anbausystem des Market Gardening kennenlernten, ging der Knopf auf (Buch ‘Bio-Gemüse erfolgreich direktvermarkten’ von Jean-Martin Fortier). Mit diesem ‘Praxisleitfaden für die Vielfalts-Gärtnerei auf kleiner Fläche‘ fanden sie auch konkrete Handlungsanleitungen und das Projekt erschien plötzlich realistisch und machbar.

Market Gardening ist das Konzept der Gemüseproduktion auf kleinster Fläche mit hoher Flächeneffizienz und einfacher Technik. Auf schwere Maschinen wird verzichtet, dafür kann die Pflanzdichte erhöht und Mischkulturen können eingesetzt werden. Die höhere Bestandsdichte führt zu einer besseren Bodenbedeckung und -verdunkelung, was wiederum Wasser und Arbeit für die Beikrautpflege / Unkräuter spart. Dieser bio-intensive Anbau wird durch neue, praktische Gartenwerkzeuge vereinfacht.
(Siehe auch https://diezukunftsbauern.de/regenerative-landwirtschaft/market-garden)

Konzept und Finanzierung

Auf dem Hof Murmatt war die Hofkulinarik (Gästebewirtung) bis ins Jahr 2020 mit rund 40 Anlässen pro Jahr neben der Mutterkuhhaltung der wichtigste Betriebszweig. Mit dem Corona-bedingten Closedown Ende Oktober 2020 in der Schweiz waren aber plötzlich keine Anlässe auf dem Hof mehr möglich. Dies bedeutete einerseits einen beträchtlichen Einkommensausfall, andererseits fanden Anita und Martin nun Zeit, am Konzept für das Market Gardening Hof Murmatt zu arbeiten. Im Herbst 2020 entschieden sie sich, per Frühling 2021 mit den Gemüseabos zu starten.

Anita fährt die Ernte ein…

Marketing

Im Januar 2021 wurden 150 Flyer mit dem Angebot für wöchentliche Gemüsekörbe (klein, mittel, gross) in drei Preiskategorien ausgedruckt. Die Gemüsekörbe sollten von Mitte Mai bis Mitte November immer dienstags zu den Kunden nach Hause geliefert werden.

Zu Fuss lief Anita von der Murmatt ins Dorf und warf in der Nachbarschaft und im Dorf die Flyer in die Briefkästen. Zwei Wochen später waren die 37 geplanten Abos verkauft. Es gab sogar eine Warteliste. Bewusst wurden nur Abo-Interessenten aus dem eigenen Dorf und dem Nachbardorf berücksichtigt. Die Lieferdistanzen sollten möglichst kurz sein.

Martin erntet in der neuen Gemüseanlage.
Solidarische Landwirtschaft in Form von regionaler Vertragslandwirtschaft heisst, der Landwirtschaftsbetrieb vereinbart mit seinen KundInnen / AbonnentInnen im Voraus die Abnahmekonditionen (Liefermenge, Liefertermine, Preise, etc.). Dadurch hat der Betrieb die Abnahme seiner Produkte gesichert und ein planbares Einkommen. Die Kunden tragen z.B. auch das Risiko möglicher Ernteausfälle mit. Produzent und Kunde kennen und schätzen sich gegenseitig. Ein Schritt in Richtung Ernährungs-Souveränität und Unabhängigkeit und eine Förderung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft.

Finanzierung

Für die finanzielle Absicherung der Investitionskosten war die Zeit dann definitiv zu kurz. Das Projekt musste starten ohne dass die Finanzhilfen von Stiftung und Kanton zugesichert waren. Finanzhilfegesuche müssen generell frühzeitig gestellt werden, da die Entscheidungsgremien oft nur an wenigen Tagen im Jahr Gesuche beurteilen. Zum Glück konnte nach Saisonstart die Finanzierung der Investitionen mit zunächst mit Eigenmitteln und dann auch mit Beiträgen von Kanton und einer Stiftung gesichert werden.

Umsetzung

Martin und die Praktikantin Edith bei Erntearbeiten

Die Anbauplanung wird mit dem Programm Gemüse-Anbauplaner von Rukola Soft erstellt. Anita findet das Programm sehr praktisch und hat seine Anwendung von zu Hause aus an Webinaren und mit Tutorials gelernt. Das Programm ist gut für die Planung und für die Statistik. Sätze, Beete und Flächen können einfach geplant werden. Man kann während des Jahres die Arbeitszeiten für jede Kultur erfassen und die Erntemengen eingeben.

Für die geplanten Gemüse-Abos berechnete das Programm eine benötigte Anbaufläche von rund 0.1 Hektaren. Die erforderlichen Jungpflanzen und Setzlinge werden automatisch berechnet und mit dieser Setz-Liste können Anfang Jahr beim Lieferanten die Pflanzen vorbestellt werden.

Für die wöchentliche Abo-Lieferung wird am Montag eine Bestandsaufnahme gemacht. Bei einem Rundgang durch die Anlage wird aufgeschrieben, was und wieviel erntereif ist. Anhand dieser Liste werden die Körbe anschliessend zusammengestellt.

Grosse Unterstützung kam von der Landwirtin und Gemüsebäuerin Madeleine Michel vom Ramersberg. Sie hat bei der Mengen-, Anbau- und Setzplanung ihr Wissen und ihre eigene Planung weitergegeben.

Anita bei der Gurkenernte im Folientunnel.

Die zwei gebrauchten Folientunnel konnten günstig abgeholt werden. Doch mangels Aufbauanleitung gestaltete sich das Sortieren eines Berges von Stangen und das Aufstellen der Tunnel selbst für den versierten Handwerker Martin als echte Herausforderung. Doch es musste auch erst noch das Baugesuch eingereicht und die Baubewilligung abgewartet werden. Die Tunnelfolien mussten bestellt und geliefert werden. Weil dies viel Zeit in Anspruch nahm, standen die Tunnel erst nach dem letzten Frost. Auch bei der Installation der Bewässerung lief nicht alles wie geplant. Aufgrund des Zeitdrucks war das Projekt im Frühling doch eine rechte Belastung.

Die Setzlinge werden bei Jud Bio-Jungpflanzen, Tägerwilen bestellt. Die Bestellung wird für verschiedene Kunden zentral an einen Betrieb in Obwalden geliefert, wo die Setzlinge alle zwei Wochen abgeholt werden können. Gerne würden Anita und Martin mehr alte, robuste Sorten anbauen, doch von den rund 200 ProSpecieRara1-Gemüsesorten, welche im Handel erhältlich sind, hat der Lieferant nur sieben Sorten im Angebot.

1ProSpecieRara: Schweizerische Stiftung für die kulturhistorische und genetische Vielfalt von Pflanzen und Tieren

Vor Witterung geschützte Kulturen im Folientunnel.

Ausgerechnet im ersten Jahr lag der Schnee besonders lange. Aus Zeitgründen wurde nach und nach immer nur das jeweils zu bepflanzende Beet vorbereitet. Erst Ende Mai waren alle geplanten Beete bepflanzt.
Der Hof hat eine eigene Wasserquelle, von welcher der Überlauf in den Ententeich geleitet wird. Von dort wird das Wasser für die Tröpfchenbewässerung abgezweigt.

Die Gemüse-Körbe werden für die Auslieferung vorbereitet.

Jeden zweiten Donnerstag werden neue Setzlinge gepflanzt. Direktsaat gibt es für Rüebli (Möhren), Pastinaken, Bohnen, Randen (Rote Bete), Spinat und Radieschen. Geerntet wird täglich, was zwischengelagert werden kann. Am Montag und Dienstag werden Frisch-Gemüse und Salate für die Abo-Körbe geerntet, die anderen Wochentage wird die Ernte drei Restaurants in der Region angeboten. Diese sind dankbare Abnehmer des Bio-Gemüses.
Ausserdem wird alles was zu viel geerntet werden kann, auch an Anlässen der Hofkulinarik auf dem eigenen Betrieb veredelt.

Im Sommer 2021 wurden Anita und Martin durch die Praktikantin Edith Gut mit rund 50 % in Betrieb und Haushalt unterstützt.

Pflanzenschutz

Natürlich gab es auch im ersten Anbaujahr Schädlinge und Krankheiten. Zum Glück war der Befall aber nur gering. Bis auf einen einmaligen Einsatz von Nützlingen (Marienkäferlarven) konnte auf spezifischen Pflanzenschutz verzichtet werden. Zur Bekämpfung der Schnecken werden Laufenten eingesetzt, die in ihrer Freizeit den hofeigenen kleinen Teich geniessen dürfen. Leider werden die Enten immer wieder mal vom Fuchs geholt.

Aussichten

Im Moment werden die Gemüsekörbe in der provisorisch eingerichteten, offenen Garage abgepackt und kommissioniert. Im nächsten Winter soll dann beim Stall ein Anbau mit Verarbeitungsraum, Kühl- und Lagerraum entstehen.

Das Gemüse wird im provisorischen Verarbeitungsraum gerüstet, gewogen und in die Körbe verteilt.

Im zweiten Anbaujahr soll bereits von 37 auf 50 Abos aufgestockt werden. Dafür muss nur noch die Anbaufläche etwas erweitert werden. Ein neuer Schlag wurde bereits vorbereitet. Zudem ist für nächstes Jahr geplant, die Liefersaison um zwei Wochen zu verlängern.
Das letzte Jahr war sehr intensiv für das Betriebsleiterpaar. „Doch wir würden es wieder machen. Vielleicht beim nächsten Mal mit etwas mehr Vorlaufzeit“,, ergänzt Martin schmunzelnd. Es wäre einfacher gewesen, wenn die zu bepflanzenden Beete bereits im Vorjahr vorbereitet worden wären.

Anita und Martin sind gerne bereit ihre Erfahrungen und auch das Konzept an interessierte Bäuerinnen und Bauern weiter zu geben.

Hubert Würsch, 2021

Weitere Informationen
Kooperationsstelle für Solidarische Landwirtschaft (inkl. Lehrgang und Vorlagen wie z.B. Mustergemüsekörbe)
https://www.solawi.ch/
Gemüseanbauplaner (Software)
https://www.micro-farm-planner.com/
Urs Mauk, ReLaVisio Videos
https://www.youtube.com/c/ReLaVisio/videos
Das Buch ‘Bio-Gemüse erfolgreich direktvermarkten’, Jean-Martin Fortier, bestellen bei Librium (CH) https://shop.librium.ch/artikel.html?id=21930640 oder beim AbL-Verlag (D) https://www.bauernstimme.de/topnavigation/kontakt/

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Hof Murmatt
6372 Ennetmoos
Anita Z’Rotz & Martin von Holzen
6.25 ha
BioSuisse Knospe
Mutterkuhhaltung, Regionale Vertragslandwirtschaft (Gemüse), Hofkulinarik (Gästebewirtung)
Gemüse, Kräuter, Früchte
8 Mutterkühe (Grauvieh) mit ihren Rindern
650 m ü. M.
Marktgarten, Hofkiosk, Dörrofen mit Solarwärme
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