Geschwisterkalb & Ammengebundene Kälberaufzucht

Die Idee, das Projekt Geschwisterkalb ins Leben zu rufen, kam Familie Tigges, nachdem sie bereits ihre Legehennen aus dem Bruderhahn-Projekt bezogen. Auch namentlich haben sie sich, bei der ammengebundenen Kälberaufzucht, am Bruderhahn orientiert. Eine große Motivation, die Umstellung zu wagen, war der Wunsch, für alle ihre Tiere eine artgerechte Tierhaltung mit maximalem Tierwohl zu erreichen. Zugleich fragt auch der Verbraucher solche Haltungsformen immer mehr nach und entsprechende Produkte lassen sich gut vermarkten.


Seit Beginn des Projektes Geschwisterkalb im Jahr 2020, verbleiben alle Kälber, nicht mehr nur die weiblichen, auf dem Tiggeshof, bis sie geschlachtet werden. Männliche, wie weibliche, werden auf dem Hof gemästet und ihr Fleisch anschließend direkt vermarktet. Die selbst gesetzten Richtlinien beinhalten: Futter entsprechend Bio-Richtlinien, gentechnikfrei und selbst erzeugt; das Säugen an der Mutterkuh für mindestens 3 Monate sowie permanenter Zugang zu Heu und keine präventiv verabreichten Antibiotika. Die Verbraucher schätzen das hochwertige Fleisch aus guter Haltung und zahlen den Preis für das Produkt – die direkte Wertschöpfung im Rahmen des Geschwisterkalb-Projektes ist gegeben.

Logo Geschwisterkalb-Projekt Tiggeshof (Bild: Tiggeshof)

Einen richtigen Auslöser, die Kälber an den Müttern / Ammen, trinken zu lassen, gab es nicht, sagt Marie Tigges. Doch die Vorteile seien vielfältig: Seit der Umstellung auf ammengebundene Kälberaufzucht gibt es keine Eimerfütterung mehr. Die Milch, direkt aus der Kuh, ist immer richtig temperiert und mit allen nötigen Inhaltsstoffen versehen. Die Kälber bleiben zwei komplette Tage mit ihrer Mutter zusammen auf dem Stroh. Ab dem dritten Tag kommt die Mutter tagsüber wieder zur Herde auf die Weide, ist jedoch auch noch die folgenden zwei Nächte bei ihrem Kalb. Ab etwa dem vierten Tag kommen die Mütter wieder komplett zur Herde. Probleme mit viel Muhen, seitens der Mutter, gibt es nach der Trennung von Mutter und Kalb nicht. Denn sie können ihr Kalb, durch die Offenheit des Stalls, die ganze Zeit sehen und Kontakt zu ihm aufnehmen. Mutter und Kalb werden nun nur noch zweimal am Tag zum Trinken und Abschlecken zusammengelassen.

Das Abschlecken der Mutter ist doppelt wertvoll. Sie selber nimmt mögliche Keime, Bakterien u. ä. vom Kalb auf und stärkt somit ihr eigenes Immunsystem. Zugleich wird auch das Immunsystem des Kalbes gestärkt. Seit der Umstellung gibt es so gut wie keine Kälberdurchfälle mehr und sowohl Kälber als auch Mütter sind insgesamt fitter und gesünder. Da die Kälber an den Kühen in Gruppen getränkt werden, gibt es keine Probleme mit der Gewöhnung. Die Kälber lernen durch Abgucken bei den anderen und finden schnell heraus, wie das Trinken funktioniert.


Ein etwa 7 Monate altes Kalb, beim Trinken an der Amme (Bild: Gina Nettsträter)

Ein besonderes Augenmerk ist, gerade bei jungen Kälbern, auf das Leerwerden des Euters der Mutter-/ Ammenkühe zu legen. Wirklich alle Euterviertel der Kuh müssen leer sein, um möglichen Euterentzündungen vorzubeugen. Dies kann zwei Mal täglich im Melkstand kontrolliert werden und, falls nötig, muss das Euter noch per Melkmaschine oder Hand leer gemolken werden.
Am Anfang – noch ohne abgegrenzte Stallungen – musste erstmal improvisiert werden. Nach dem Reinholen der Kühe von der Weide wurden die Kälber einfachheitshalber vor dem Stall an ihre Ammen zum Trinken gelassen, bei Wind und Wetter. Dies hat gut funktioniert und so wurde, nach einiger Zeit, ein Teil des Stalls abgetrennt für das Tränken der Kälber an den Müttern / Ammen. Hier können die Kälber nun geschützt und ganz in Ruhe trinken. Marie Tigges: „Wichtig ist, dass man einfach anfängt und es ausprobiert. Es gibt nicht den einen richtigen Weg. Jeder Hof ist anders. Aber es gibt für jeden, der diesen Weg der kuhgebundenen Kälberaufzucht gehen möchte, eine Möglichkeit.“

Das Trinken an der Kuh ist eine intuitive Sache. Die Tiere finden ihren Weg. Man muss ihnen einfach ein bisschen Vertrauen entgegenbringen. Das ist erstmal vielleicht ungewohnt, doch es lohnt sich.

Marie Tigges

Wichtig ist, darauf zu achten, dass bei der Ammenaufzucht die Anzahl und Größe der Kälber auf die Ammen abgestimmt ist. Die Erfahrung zeigt, dass im Idealfall eine Amme zwei Kälber versorgt, ein weibliches und ein männliches. Die Kälber saugen den Kühen nämlich, bei Nichtbeachten, im schlimmsten Falle „alles Leben raus“. Auch wichtig ist im Auge zu behalten, dass jedes Kalb, gerade bei der Gruppenhaltung, zum Trinken kommt und auch genug abbekommt. Bei zu wenig Milch kann es zum Zitzenbeißen seitens des Kalbes kommen. Daher ist es unerlässlich, regelmäßig die Zitzen zu kontrollieren. Für die Geschmeidigkeit der Zitzen reicht normalerweise die Kälberspucke, bei extremer Hitze und Trockenheit kann auch mal mit etwas Melkfett nachgeholfen werden.

Ein etwa 8 Monate altes Angus-Holstein Kalb, welches noch an den Ammen getränkt wird (Bild: Gina Nettsträter)

Allgemein muss man seine Tiere sehr im Blick behalten und genau beobachten. Das kostet zwar gerade am Anfang viel Zeit, lohnt sich aber für Mensch und Tier. Denn man lernt seine Kühe ganz anders kennen. Auf dem Tiggeshof gibt es Holstein und Braunvieh, alle sind gleich geeignet, die Rasse spielt hier eine untergeordnete Rolle. Es gibt natürlich auch Kühe, die nicht als Ammen geeignet sind, aber bereits nach einem Jahr hat man schnell ein Auge dafür, welche Kuh geeignet ist und welche nicht.

Gina Nettsträter, 2022

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