Mutterkuhgebundene Kälberaufzucht auf konventionellem Grünlandbetrieb – Schritt für Schritt zu einer neuen Haltungsform

Wir haben uns 2010 für einen ersten zaghaften Versuch entschieden, Kuh und Kalb in unserem Boxenlaufstall mit Spaltenboden wieder etwas Kontakt zu ermöglichen. Wir haben zwei Liegeboxen mit Brettern verkleidet und so zwei Kälbereinzelboxen geschaffen, wo die Kühe die Möglichkeit hatten wenigstens über den Boxenrand ihren Kälbern den Rücken zu lecken. Allein die Tatsache, dass nach vielen Generationen mit direkter Trennung von Kalb und Kuh nach der Geburt auf einmal wieder Kälber im Stall waren hat damals bei unseren Kühen schon für viel Aufregung gesorgt. In dem Stall gab es auch eine ca. 25 qm große Abkalbebox, in der wir mit unseren ersten Versuchen gestartet haben, Kälber für ein paar Tage bei ihren Müttern saugen zu lassen.

Stallbereich, in dem Kühe und Kälber erst täglich 2 und später dann 1 Mal zusammen sein können.

Schnell war klar, dass ein sofortiger Umstieg auf muttergebundene Kälberaufzucht nicht möglich ist. Viele Kühe wussten erstmal gar nicht, wie sie richtig mit ihrem Kalb umgehen müssen und die Quote an Kälbern, die es dann wirklich geschafft hat sich für ein paar Tage bei der Mutter zu ernähren war am Anfang ziemlich gering. Hinzu kam auch noch, dass in dem gut isolierten Boxenlaufstall die Luft nicht immer die frischeste war und es zu wenig Platz gab, sodass wir zeitweise mit kranken Kälbern zu kämpfen hatten. Und obwohl die Ergebnisse in den ersten zwei bis drei Jahren vorsichtiger Versuche nicht so gut gewesen sind, haben wir dann doch irgendwie durchgehalten und unser Vorhaben muttergebundene Kälberaufzucht zu betreiben weiter fortgesetzt. Mit der Zeit wurden die Kühe wieder entspannter und ein Kalb, welches ausgebrochen und mal kurz durch den Stall gelaufen ist, hat nicht mehr zu einem kompletten „Ausrasten“ der ganzen Herde geführt.

Anbau für Kälberstall im Kuhstall

So haben wir uns dann 2014 dazu entschieden, unseren Stall ein Stück anzubauen, mit dem Ziel einen wirklichen Kälberstall im Kuhstall zu integrieren und bessere Bedingungen für die Kälber zu schaffen. Es gab einen großen Strohstall mit Curtains an den Wänden und viel frischer Luft. Und sofort haben sich der Gesundheitszustand der Kälber und das Wachstum deutlich verbessert. Wir haben dann begonnen, den Kälbern und Kühen, die das Säugen gut geschafft haben, 14 Tage miteinander zu geben. Die ersten zwei bis drei Tage komplett zusammen und dann morgens und abends jeweils eine Stunde vor dem Melken. Die Bullen sind dann mit 14 Tagen verkauft worden und auch die weiblichen haben wir dann abgesetzt und weiter getränkt. In dieser Zeit gab es aber auch noch einige Kälber, die wir von Anfang an tränken mussten, weil sie die Euter nicht gefunden haben oder aber die Kühe sich nicht richtig gekümmert haben. Und es war auch bei uns immer noch unterschwellig die Angst da, dass es etwas schief gehen könnte, wenn wir die Kälber und ihre Futteraufnahme nicht ständig kontrollieren können.

Mehr Vertrauen versus komplette Kontrolle

Nachdem man in jeder Ausbildung, Studium und Fachzeitschrift darauf getrimmt wird, alles im Stall genau zu kontrollieren, jede Tränkeaufnahme zu erfassen um auch sicher frühzeitig zu erkennen, wenn ein Kalb mal krank wird, mussten wir auf einmal genau das Gegenteil tun: Kontrolle abgeben und einfach vertrauen. Mein Vater hat sich damit sehr lange sehr schwer getan. Und das heißt jetzt nicht, dass wir nicht kontrollieren, ich achte natürlich bei jeder Mahlzeit genau darauf, ob auch jedes Kalb zur Mutter läuft und anfängt zu saugen, aber diese Kontrolle lässt sich halt nicht mehr in ml fassen. Rückblickend war die Trennung nach 14 Tagen sehr schwierig. Die eigenen Nachzuchtkälber sind in einen Stall gekommen, wo die Kühe durch das Gitter noch Kontakt zu den Kälbern haben konnten, das ging noch. Aber die Kühe von den Verkaufskälbern haben schon ein paar Tage schreiend im Stall gestanden. Und dass war 14 Tage nach der Geburt, in einer stoffwechselempfindlichen Phase, nicht vorteilhaft.

Betreuung in den ersten Tagen

Vor zwei Jahren haben wir dann eigentlich aus Arbeitskräftemangel angefangen, die Mutterkälber länger als 2 Wochen saugen zu lassen, schließlich bis zum Absetzen mit 12 Wochen. Vor 1,5 Jahren haben wir begonnen, alle männlichen Kälber auch selbst zu behalten und zu mästen. Heute bleiben unsere Kühe die ersten zwei bis drei Tage komplett mit dem Kalb zusammen. Dabei ist es vorteilhaft, wenn die Kühe wirklich mit ihrem Kalb alleine in einer Box sind. Manchmal ist es etwas schwierig, wenn zwei Kühe gleichzeitig in einer Box kalben, dass die Kühe und Kälber hinterher nicht richtig wissen, wer eigentlich zu wem gehört und dann anschließend die Bindung nicht eng genug ist, dass das Säugen in einer großen Gruppe gut funktioniert. Ich beobachte die Kälber nach der Geburt gut, bei der ersten Melkzeit nach der Geburt wird dem Kalb in der Flasche Biestmilch angeboten. Manche haben dann das Euter noch nicht gefunden und saufen das gerne. Ich gebe mittlerweile aber entgegen aller Empfehlungen nur noch 2 Liter und habe gute Erfahrungen damit gemacht. Wenn ich den Kälbern 3-4 Liter gegeben habe, dann waren die Kälber manchmal zu satt und haben nicht mehr nach dem Euter gesucht. Heute brauchen die Kälber nur noch in seltenen Fällen ein bis zwei zusätzliche Tränken von uns.

Gemeinsame Zeiten von Kuh und Kalb im Detail

Im Laufe der Zeit haben wir offenbar den Naturinstinkt der Tiere wieder wecken können. Kälber und Kühe, die nicht zueinander finden sind sehr selten geworden. Und für die Kühe ist es wieder völlig normal, dass auch mal Kälber zwischen ihnen durchlaufen. Nach den zwei bis drei Tagen alleine mit der Mutter kommen die Kälber in den großen Strohstall. Dieser liegt zwischen Kälberstall und Kuhstall. Die Mütter dürfen morgens und abends eine Stunde vor dem Melken ihre Kälber säugen. Dann gehen die Kühe zum Melken. Zwischen der 6.-8. Woche – je nach Größe des Kalbes – reduzieren wir das auf einmal täglich. Die Kühe kennen die Zeiten, wann sie zu den Kälbern dürfen genau und wenn ich morgens um 6 und nachmittags um 4 in den Stall komme, dann stehen die meisten Mütter bereits an der Tür. Kühe zu den Kälbern lassen, eben gucken ob alle Kälber saugen gehen und die Kühe hinterher von den Kälbern trennen – das ist ein Arbeitsaufwand von ca. 10 Minuten. So schnell haben wir 15 Kälber vorher nicht getränkt.

Weniger Arbeit und bessere Tiergesundheit

Der weitere Vorteil ist, dass die Kälber sehr fit sind, gut wachsen und schnell voneinander lernen. Auch für die Kühe sehe ich große Vorteile. Sie sind vitaler, bewegen sich mehr und fressen besser. Insgesamt sind seit der muttergebundenen Tränkezeit von 12 Wochen Stoffwechselprobleme bei den Kühen deutlich seltener geworden. Die Kälber trinken in den 12 Wochen geschätzt 1000 Liter, wobei ich denke, dass sich das mit den vielen Vorteilen gut kompensiert. Das Absetzen ist deutlich stressfreier geworden. Die Kälber und Kühe dürfen nach dem Absetzen noch Kontakt durch ein Gitter haben, das erleichtert diese Phase etwas.
Ein Teil der Kühe verlässt ihr Kalb im Laufe der Säugezeit auch schon freiwillig. Es macht manchmal den Eindruck, dass ihnen die Kälber ab einem Alter von 8 bis 10 Wochen dann zu grob am Euter werden. Diese Kühe hole ich nicht mehr, die Kälber müssen sich dann bei einer anderen Kuh durch die Hinterbeine was klauen. Das hat bis jetzt auch immer geklappt und es musste noch kein Kalb hungern. In diesen Fällen ist das Absetzen dann sehr unproblematisch. Und selbst bei einer Kuh, die sich nach 12 Wochen noch schwer trennt und zwischendurch im Stall schreit, ist der Vorteil da, dass die Kuh stabil genug ist, dass es ihr nicht schadet im Gegensatz zum Absetzen 14 Tage nach der Geburt.

Alles in allem ist die muttergebundene Kälberaufzucht heute für mich das Beste, was ich machen konnte und ich kann mir nicht mehr vorstellen, es wieder anders zu machen. Auch wenn der Weg dahin auf unserem Betrieb 10 Jahre gedauert hat und zwischendurch steinig war.

Kristina Schmalor, 2020, NRW

Vorne rechts ist der Kuhstall, vorne links können die Kälber durch einen Kälberschlupf in den Kälberstall wo sie Wasser und Futter haben. Hier trennen wir die älteren auch ab, die nur noch einmal täglich gesäugt werden. In der Mitte ist der große Bereich, in dem sich Kühe und Kälber 2 Mal täglich zum Säugen treffen. Ganz hinten kalben die Kühe und bleiben mit ihren Kälbern für 2 bis 3 Tage alleine. Die Kühe können zwischendurch immer ans Gitter kommen und nach den Kälbern gucken. Direkt nach der Geburt machen sie das öfter, später kommen sie dann nur noch zu den Säugezeiten. Für die frisch abgekalbten Kühe ist es deshalb vorteilhaft, dass sie an dieser Begegnungsstelle Wasser und Futter finden. Das erhöht die Aufnahme deutlich.

Durch dieses Gitter können Kühe und Kälber nach dem Absetzen noch Kontakt halten. Manche Kühe haben es allerdings gelernt sich so zu stellen, dass die Kälber durch das Gitter weiter saugen können.

Große Curtains sorgen für genug frische Luft. Das ist sehr wichtig, wenn man Kühe und Kälber zusammen in einem Stall halten will.

In diesem Fall ist nach einigen Wochen von drei Kälbern nur noch eine Mutter gekommen, die die anderen beiden mitsäugt.

Im Winter bekommen die Kleinen Decken, damit es in dem offenen Stall nicht zu kalt wird. Damit beginnen wir im Herbst bereits ab ca. 5°C nachts. Es wäre dann vielleicht noch nicht unbedingt nötig, aber die Kälber haben mit Decken dann bereits höhere Tageszunahmen. Die Decken behalten die Kälber ca. 4-5 Wochen und ich achte darauf, die Decken dann abzunehmen, wenn das Wetter gerade für ein paar Tage etwas wärmer wird, sodass der „Kälteschock“ nicht so groß wird.

Wer mehr Bilder oder Infos vom Betrieb möchte, findet den unter www.schmalors-bauernhof.de oder „Schmalors Bauernhof“ bei facebook.

Kristina Schmalor, 2020, NRW

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Schmalors Bauernhof
Sundern, Sauerland, NRW
Kristina Schmalor
mit Partner Michael, eine Aushilfe gelegentlich Mithilfe der Geschwister
75 ha
Grünland-Milchviehbetrieb mit Mast
70 Milchkühe, 70 Jungtiere
400 m ü. M.
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Mutterkuhgebundene Kälberaufzucht
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