Milchbar immer offen

Wir kombinieren mutter- und ammengebundene Kälberaufzucht auf Hof Stolze Kuh, weil dann nicht ganz so viel Milch weggetrunken wird und ich Kälber und Kühe auf der Weide nicht trennen muss. Sie können immer ans Euter.

Ich betreue die Kälber sehr individuell und schaue, wie es für die einzelnen passt. Dieses Jahr hat die saisonale Abkalbung das erste Mal geklappt, was das Adoptionsverfahren sehr erleichtert hat. Da sich meine Melkvertretung und mein Mann schwer tun und lieber den Nuckeleimer holen, wurde mir bewusst, dass man es auch wirklich wollen will, damit es gute Kuh-Kalb-Beziehungen werden. Wenn man zu wenig Bock drauf hat und nicht daran glaubt, dass es funktioniert, wird es auch nicht klappen.

Kälberboxen mit Kuhbesuch

Unsere Kühe kalben auf der Winterweide und laufen dann mit Kalb in den Stall. Das Kalb hat da meist schon Kolostrum getrunken. Im Stall habe ich aus Panels (Patura und Nachbauten aus Holz mit Draht verbunden) Boxen gebaut, in die das Kalb rein kommt. Unser Stall ist quasi eine Halle, vielleicht 20x30m groß. Die Kuh kann neben den Boxen an einem Heu-Rundballen fressen und Wasser gibt es auch. Dann lass ich die Mama zu den Melkzeiten und mittags zum Kalb und beobachte, ob das Kalb gleich aufsteht und gut trinkt. Die Kühe kennen ihren Boxen-Eingang zum Kalb sehr schnell.

Das mache ich so lange bis eine zweite Kuh kalbt und ich weiß, dass eine von beiden beide Kälber versorgen würde. Das kann zwei Tage dauern oder drei Wochen. Länger sollte es nicht dauern, weil das ältere Kalb sonst körperlich einen zu großen Vorsprung hat und das kleinere nicht genug Milch abbekommt. Dem kann ich allerdings noch entgegenwirken, indem ich das ältere Kalb in die Nachbarbox lasse, bis das kleine eine gute Portion getrunken hat.

Adoption durch Ammenkuh

Ich lasse die auserwählte Mama, die nun gleichzeitig Amme wird, in die Box und da ist ihr Kalb und noch ein zweites. Sie kriegt zwei Schippen Schrot und ich bin dabei und gebe ihr Impulse (vom Stockmanship), wenn sie rumhampelt. Das Ziel ist, dass sie ihr Kalb erkennt und eine Oxytocin-Ausschüttung bekommt. Dann steht sie still. Ich helfe dem Kalb, das adoptiert werden soll, ans Euter, falls es erstmal verwundert sein sollte.

Dadurch, dass ich immer direkt daneben melke (unseren Weidemelkstand stellen wir im Winter einfach in den Stall), sehe ich, wenn eine Kuh ein Kalb wegschubst und weiß, dass ich nochmal dabei bleiben muss. Ich kann sie auch anbinden, drei Eimer Schrot nebeneinander stellen (dadurch ist sie länger beschäftigt) oder ihr angebunden einen Bügel ranmachen. Meist reicht aber ein guter Start. Sie muss eine Oxytocin-Ausschüttung haben. Die hat sie automatisch, wenn ihr Kalb säuft und sie entspannt ist. Diesen Zustand muss ich also auch beibehalten, wenn ein zweites Kalb dabei ist. Das ist meine eigentliche Aufgabe.

Der Moment der Gewöhnung an die Amme ist sehr wichtig und muss je nachdem mehr oder weniger von Anja unterstützt werden. Die Mutterkuh ist beruhigt, da sie ihr Kalb sehen und beschnüffeln kann.

Wenn ich sehe, dass die Kälber satt sind (Bauch rund und sie nuckeln nicht mehr) und das Euter leer, dann lasse ich die Kuh wieder raus. Um so vorzugehen, brauche ich die Boxen. Frei mit vielen Kälbern wäre es schwierig. So zahm sind meine Kühe auch nicht!

Das Absetzen der Kuh, die dann zum Melken geht und nicht mehr in die Kälberbox, funktioniert stressarm an der Pannelabtrennung. Sie kann das Kalb jederzeit besuchen und sieht, dass es gut versorgt ist. Dann lässt sie sich zum Melkstand treiben und die Milch fließt.

Das Adoptionsverfahren dauert etwa zwei Wochen, dann wird die Abtrennung zwischen zwei Boxen weggenommen und dadurch die Boxengröße verdoppelt und ich schau, ob die Kälber ihre Kuh auch noch finden, wenn da zwei zur Auswahl stehen. Später dann mit vier Kühen und als letztes frei im Stall. Klappt alles, können sie zusammen auf die Weide. Da haben wir im Winter im Dorf einen Unterstand und im Nationalpark ein 50ha Stück, wo Kühe und Mamas nebeneinander grasen können.

Absetzen nach 4-6 Monaten

Das Absetzen nach 4-6 Monaten, je nach Größe (irgendwann werden sie so parasitär und die Mamas haben nur noch ihre Ruhe, wenn sie sich hinlegen) mache ich die Entwöhnung Zaun an Zaun. Fenceline Weaning heißt das auf Englisch, siehe meinen Beitrag https://terrabc.org/tiere/tierhaltung/muttergebundene-kaelberaufzucht-milchvieh/stressarm-absetzen/.
Stromführende Litze kennen die Kälber ja schon und die Milch ist in dieser Phase noch ein Stück Schokolade, aber nicht mehr lebensnotwendig. Wir haben drei Litzen mit viel Strom (mind. 4000V), in diese sortiere ich die Kälber rein. Getrieben werden kennen sie auch seit der Geburt. Dadurch dass die Mamas auf der anderen Zaunseite sind, gibt es kein Schreien.

So ist das auch beim Adoptionsverfahren am Anfang. Die Kuh, die ihr Kalb abgibt, muss das Kalb noch schnüffeln und sehen können, dann geht sie beruhigt fressen. Nach zwei Wochen besuchen die Kühe die Kälber nicht mehr und ich kann sie in die Bullen- und Färsenherde bringen.

Anja Hradetzky, Brandenburg, 2020

Anja Hradetzky hat 150 Mutterkühe betreut und melkt jetzt 40 Kühe auf dem eigenen Hof Stolze Kuh. Sie ist Trainerin für wesensgemäße Tierhaltung. Kontaktiert sie bei weiteren Fragen gern: Stolzekuh@posteo.de

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